node_id
stringlengths
1
4
doc_id
stringclasses
302 values
url
stringclasses
302 values
titles
stringclasses
302 values
text
stringlengths
258
2.28k
rank
float64
83.6
7.94k
qid
stringclasses
302 values
3831
289
https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrotubulus
Mikrotubulus
Abgesehen vom ständigen Auf- und Abbau an den Enden sind Mikrotubuli steif und unveränderlich. Dennoch haben sie nicht nur Stützfunktionen in der Zelle. Motorproteine, die sich (vorstellbar etwa wie Spannerraupen) an den Mikrotubuli unter ATP-Verbrauch entlanghangeln, tragen Vesikel und Granulae durch die Zelle. Kinesine transportieren meist in Richtung Plus-Ende, Dyneine in Richtung Minus-Ende. Vor der Zellteilung bilden Mikrotubuli den Spindelapparat, über welchen die Chromatiden zu den Polen der Zelle (Minus-Enden der Mikrotubuli) gezogen werden. In Nervenzellen wandern mit Neurotransmittern gefüllte Vesikel vom Zellkörper zu den Synapsen in Plusrichtung, siehe axonaler Transport. Eine andere Art von Bewegung erzeugen Zilien und Geißeln. Die oben beschriebenen Axoneme enthalten unter anderem Dynein. Indem das Dynein die Mikrotubuli gegeneinander verspannt, krümmt es das Axonem (Auch hierfür wird ATP verbraucht). Zilien können durch in Phase und Richtung koordinierten Flimmerschlag Strömung erzeugen, siehe Wimpertierchen, oder Material in einem Lumen transportieren, siehe Flimmerepithel. Geißeln bewegen einzelne Zellen fort (z. B. Spermien), indem sie hin und her schlagen. Den (9×2 + 2)-Bauplan der Axoneme hat die Evolution vom primitiven Einzeller bis zum Menschen beibehalten. Auch der (9×2 + 0)-Bauplan tritt häufig auf. Zilien dieses Typs sind meist unbeweglich. Sie bilden spezialisierte Zellkompartimente – z. B. das Außensegment bei ziliären Photorezeptorzellen, die Chemorezeptoren der Riechzellen oder Strömungsdetektoren in Flüssigkeiten. Bedeutung in der Krebsbekämpfung
145.450056
Q189933
3832
289
https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrotubulus
Mikrotubulus
Starke Bedeutung kommt den Mikrotubuli bei der Bekämpfung von Krebs zu. Substanzen, die das dynamische Gleichgewicht des Auf- und Abbaus der Mikrotubuli stören, behindern insbesondere die korrekte Ausbildung und Funktion des Spindelapparats und wirken dadurch als Mitosegifte, d. h., sie verhindern die korrekte Zellteilung und damit das Wachstum von Tumoren und Metastasen. Einige werden als Zytostatika im Rahmen der Chemotherapie genutzt. Alkaloide aus der Rosafarbenen Catharanthe (Catharanthus roseus, früher Vinca roseus), das Vincristin und das Vinblastin, fällen Tubulin aus. Paclitaxel (Taxol), ein Alkaloid aus der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia), und das Epothilon aus dem Myxobakterium Sorangium cellulosum stabilisieren Mikrotubuli und hindern sie am Depolymerisieren. Die Zytostatika wirken allerdings auch in anderen Geweben bzw. Organen, in denen sich Zellen teilen. Das sind z. B. Oberhaut, Haarfollikel, das Knochenmark als Bildungsstätte von Immun- und Blutzellen, die Leber und die Keimdrüsen. Dementsprechend haben Zytostatika viele erhebliche Nebenwirkungen wie Haarausfall, Darmbluten oder erhöhte Infektionsanfälligkeit. Bedeutung für die Pflanzenzüchtung Colchicin, ein Alkaloid aus der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale), hemmt die Polymerisation der Mikrotubuli, indem es die Tubulineinheiten bindet und dem Kreislauf entzieht. Durch gezielte Behinderung der Meiose ließ es sich erfolgreich zur Züchtung polyploider Pflanzen einsetzen. Bei tierischen Organismen gilt Colchicin als keimgutschädigend.
145.450056
Q189933
3833
289
https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrotubulus
Mikrotubulus
Quantenphysik und Bewusstsein Stuart Hameroff und Roger Penrose haben gemeinsam die Hypothese aufgestellt, dass bewusstseinsbildende Gehirnfunktionen auf makroskopischen Quanteneffekten beruhen, die sich in den Mikrotubuli des Zellskeletts abspielen. Bei höheren Evolutionsstufen seien es die Mikrotubuli der Hirnneuronen, aber im Prinzip gelte dieser fast panpsychische Mechanismus sogar für Einzeller mit Zytoskelett. Weblinks Wissenschaftliche Illustration - Mikrotubuli Literatur Klaus Werner Wolf, Konrad Joachim Böhm: Organisation von Mikrotubuli in der Zelle. In: Biologie in unserer Zeit. 27, 2, 1997, , S. 87–95. James R Davenport, Bradley K Yoder: An incredible decade for the primary cilium: a look at a once-forgotten organelle. In: Am J Physiol Renal Physiol. 289, Nr. 6, 2005, S. F1159-1169. . PMID 16275743. Referenzen, Anmerkungen
145.450056
Q189933
3834
290
https://de.wikipedia.org/wiki/Gebiet
Gebiet
Mit dem geographischen Begriff Gebiet (Abk.: Gbt., Geb.) bezeichnet man eine räumlich (meist) zusammenhängende Fläche oder ein Areal auf der Erdoberfläche, das sich auch in die dritte Dimension erstrecken kann. Wortherkunft und Geschichte Die heutige Bedeutung des Begriffes Gebiet leitet sich vom Zeitwort „gebieten“ ab, auf althochdeutsch gibiotan (biotan „bieten“). Ein Gebiet war demnach der Bereich, über den sich die Befehlsgewalt, die erlassenen Gebote oder die Gerichtsbarkeit erstreckte (vgl. Gebieter), entspricht also dem ursprünglichen Begriff Land, lat. Territorium. Daneben findet sich die kürzere Variante Biet (ausgehend von bieten oder aber mit an /b/ assimiliertem Ge-) auch in Territorialbezeichnungen wie beispielsweise Baselbiet (hier: Herrschaftsgebiet der Stadt Basel) oder das Biet um Neuhausen (das hier einen wenige Dörfer umfassenden, bis 1803 bestehenden Herrschaftsbereich eines reichsritterlichen Territoriums meint). Heutige Verwendung Man verwendet den Ausdruck im regionalgeographischen Sinne heute etwa: synonym für Region oder Landschaft synonym für Zone (etwa: Einzugsgebiet eines Gewässers) den Wirkungsbereich einer Gebietskörperschaft: Ein Staatsgebiet, einen Gliedstaat oder eine Gemeinde eine regionale Begrenzung bei wirtschaftsgeographisch-logistischen Aspekten wie Vertrieb oder Kundendienst (Gebietsrepräsentanz). Dass der Begriff nicht in die Ebene beschränkt ist, zeigt z. B. Tiefdruckgebiet, die Zone tiefen Luftdrucks erstreckt sich in die 3. Dimension. Daneben ist „Gebiet“ auch die Übersetzung von Oblast, einer Verwaltungseinheit in Russland und der Ukraine, sowie von Oblys, einer Oblast-ähnlichen Verwaltungseinheit in Kasachstan. Siehe auch Bezirk Sperrgebiet Zonenrandgebiet Weblinks Einzelnachweise !Gebiet
218.205584
Q4835091
3835
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Eine Festung ist im Allgemeinen ein durch Wehranlagen stark befestigter Ort. Im engeren Sinne bezeichnet Festung in der Neuzeit eine eigenständige, meist stark gegliederte Wehranlage aus starkem Mauerwerk, später auch aus Beton, die dem Schutz gegen feindliche Feuerwaffen (insbesondere Artillerie) bei gleichzeitigem defensivem Feuerwaffeneinsatz durch die Verteidiger dient. Festungen dieser Art wurden ab dem 15. Jahrhundert als Reaktion auf den Einsatz schwerer Pulvergeschütze erbaut und waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts üblich. Sie konnten der Grenz- oder Küstensicherung dienen, den Ausgangspunkt einer Offensive bilden und sich zurückziehende Heere aufnehmen. Darüber hinaus wurden manche Festungen als Verwaltungssitz, Gefängnis oder Aufbewahrungsort staatlicher Reserven an Geld oder Edelmetallen genutzt. Der Ursprung der Begriffe Festung, Befestigung und Feste findet sich im mittelhochdeutschen Adjektiv veste im Sinne von „beständig“, „hart“, „stark“, das sich zu dem neuhochdeutschen fest entwickelte. Eine vergleichbare Wortherkunft ist bei der Fortifikation und dem Fort gegeben, die auf das lateinische für „fest“, „kräftig“, „stark“ zurückgehen. Die Eigenschaft einer Burg oder Festung, gegen ein gewaltsames Eindringen mittels Leiterangriffen gesichert zu sein, wurde früher als Sturmfreiheit bezeichnet (der Begriff wandelte sich später in die Bezeichnung für die Höhe des Walles einer Festung über ihrem Fundament). Grundlagen Grundriss und Profil einer Festung richteten sich nach den Schusslinien der zur Verteidigung verwendeten Feuerwaffen, wodurch die weitgehende Vermeidung toter Winkel erreicht wurde. Sie setzte sich aus unterschiedlichen Werken zusammen, worunter einzelne Befestigungsanlagen wie Bastionen oder Wälle zu verstehen sind. Hinzu kamen Kasernen, Munitionslager, Zeughäuser und weitere Garnisonsgebäude. Eine Festung konnte zudem einen zivilen Bereich umfassen.
189.816958
Q57831
3836
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Festungen wurden nach individuellen Befestigungssystemen erbaut, die als Manieren bezeichnet werden. Dabei handelte es sich in den meisten Fällen um spezifische Verwirklichungen des Bastionär-, Tenaillen- oder Polygonalsystems. Die sechs wichtigsten Manieren, anhand derer sich die fortifikatorischen Epochen des 16. bis 19. Jahrhunderts voneinander abgrenzen lassen, sind die alt- und neuitalienische, die alt- und neuniederländische und die alt- und neupreußische bzw. neudeutsche oder neuösterreichische. Viele erhaltene Festungsanlagen weisen Elemente verschiedener Manieren auf, da waffentechnische Fortschritte wiederholt zu baulichen Anpassungen zwangen. Das einzige bedeutende Definitionskriterium einer Festung ist die systematisch durchgeführte Ausrichtung auf die Kampfführung mit und gegen Artillerie. Neben Städten konnten auch Burgen, Schlösser und Klöster zu Festungen ausgebaut werden. Da hierbei die Berücksichtigung der vorhandenen Bausubstanz und der topographischen Gegebenheiten erforderlich war, bot üblicherweise nur die Neuerrichtung einer Festung in ebenem Gelände die Möglichkeit zur idealtypischen Umsetzung einer Manier. Geschichte der neuzeitlichen Festung Erste Artilleriebefestigungen
189.816958
Q57831
3837
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Bis in das Spätmittelalter hinein hing das Defensivpotenzial von Burgen und befestigten Städten zum Großteil von der Höhe ihrer Mauern und Türme ab. Bereits im späten 14. Jahrhundert wurde dieses wehrbauliche Grundprinzip in Frage gestellt, da zu dieser Zeit schwere Bombarden aufkamen, die große Steinkugeln verschossen. Die Reichweite von Bombarden war zunächst sehr gering und ihr Transport äußerst aufwändig, doch konnten die in Relation zu ihrer Stärke sehr hohen Burg- und Stadtmauern mit diesen primitiven Kanonen leicht zerstört werden. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts erhöhten sich Reichweite und Feuerkraft der Bombarden deutlich. So konnten französische Truppen unter Karl VII. vom Mai 1449 bis zum August 1450 mit Hilfe von Bombarden über siebzig englische Stützpunkte in der Normandie erobern, da allein das Aufstellen der Geschütze Drohung genug war. Die Städte ergaben sich reihenweise, ohne dass ein Schuss abgefeuert werden musste. Die europäischen Baumeister reagierten auf diese Entwicklung zunächst nur mit einer Modifikation der mittelalterlichen Wehranlagen. Die Mauern wurden niedriger und durch einen breiten Wall verstärkt, der als Geschützplattform diente. Erde gewann als Baustoff an Bedeutung, da sie den Impuls der Geschosse abdämpft (siehe Plastischer Stoß). Hölzerne Aufbauten wurden von Mauern und Türmen entfernt, da sie ein leichtes Ziel waren. Der mittelalterliche Burgturm wandelte sich zu einem kegelstumpfförmigen, massiven Geschützturm, dem Rondell. Rondelle verfügten über Räume mit großen Schießscharten, durch die Geschütze feuern konnten. Auch auf der Spitze des Rondells wurden schwere Feuerwaffen platziert. Diese Veränderungen in der Errichtung von Befestigungen waren jedoch nicht ausreichend, da sie lediglich eine Erweiterung früherer Bauprinzipien darstellten. Burg Querfurt steht beispielhaft als vollständig erhaltene rondellierte Burg der frühen Neuzeit mit insgesamt vier Rondellen.
189.816958
Q57831
3838
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Die verstärkten Befestigungsanlagen, die gegen Ende des Spätmittelalters errichtet wurden, erhöhten in erster Linie die passive Verteidigung und zögerten den Fall einer Stadt oder Burg nur hinaus. In den Rondellen konnten nur wenige Kanonen platziert werden, da sich der Pulverdampf in den Kasematten relativ lange hielt und Sicht und Atmung erschwerte. Im Bereich vor einem Rondell befand sich ein toter Winkel, der nicht von den Verteidigern beschossen werden konnte und somit ein bevorzugter Ausgangspunkt feindlicher Unterminierungsversuche war. Hierzu kamen ingenieurtechnische Truppen wie die Mineure zum Einsatz. Rondelle bildeten eigenständige Befestigungswerke und waren nicht dafür konzipiert, sich gegenseitig zu flankieren. Es wurde eine Befestigung notwendig, die eine stabile Plattform für zahlreiche Geschütze bot, über keinen dem Feuer entzogenen Raum verfügte und deren Werke sich Flankenschutz bieten konnten. Spätgotik und Frührenaissance Etwa zwischen 1450 und 1550 wurden in Deutschland sehr häufig an Burganlagen oder größere Schlossanlagen des Hochadels Rondelle und Artilleriewälle angebaut/vorgelagert. Ebenso waren diese damals an den Befestigungsanlagen größerer Städte (Festungsstadt) unverzichtbarer Bestandteil, wie zum Beispiel im Falle der Wasserfestung Ziegenhain. Oft waren Wassergräben und Artilleriewälle vorgelagert. Selbst Gipfelburgen erhielten manchmal einen Artilleriewall zusätzlich zu ihren Rondellen oder Geschütztürmen an den Ecken. Beispiele für Artilleriewälle an Gipfelburgen sind die böhmischen Burgen Hartenstein und Landeswarte bei Brüx. Ein Musterbeispiel für eine Anlage mit Rondellen ist die Wasserburg Heldrungen, die in zwei Phasen, von 1512 bis 1519 durch zwölf Rondelle und von 1664 bis 1668 nach dem Vaubanschen System, zu einer Festung ausgebaut wurde.
189.816958
Q57831
3839
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Festungsartige Anlagen entstanden im deutschsprachigen Raum seit etwa 1500 auch durch Errichtung oder Umbau von Burgen mit Geschütztürmen, die meist als Batterietürme bezeichnet werden. Musterbeispiel hierfür ist die Moritzburg in Halle/Saale. Sie ist ein Neubau der Spätgotik und hat vier Ecktürme, die Geschütztürme sind. Gleiches gilt für die Wasserburg Friedewald, einen Umbau der frühen Renaissance, der ebenfalls Ecktürme für den Einsatz von Feuerwaffen besitzt. In ihrem großen Geschützturm befindet sich bereits ein zentraler Rauchabzug, wie er bei Turmforts des 19. Jahrhunderts wieder üblich war. Solche Anlagen haben einen festungsartigen Charakter, und manche werden als Burgschloss eingestuft, wenn es eher sich um ein Wohnschloss handelt, das aber verteidigbar ist. An einigen deutschen Burgen und frühneuzeitlichen Festungen finden sich Bollwerke, die der Aufnahme von Kanonen dienten und gefährdete Angriffsseiten schützen sollten, so bei Burg Querfurt und der Burg Wertheim in Franken. Das bastionierte Schloss der Renaissance Hauptartikel: Palazzo in fortezza () Zwischen 1550 und 1600 setzte sich in Nordeuropa die Anwendung von Bastionen als Ersatz der früheren Rondelle durch. Burgen und Schlösser wurden durch das Vorlegen von meist vier eckigen Bastionen zum bastionierten Schloss oder zur bastionierten Burg. Durch das weitere Vorbauen zusätzlicher Befestigungsanlagen wie Ravelins etc. entstanden so aus bastionierten Schlössern oder Burgen frühneuzeitliche Festungen. Oft handelte es sich zuvor um Wasserburgen, Wasserschlösser oder Gipfelburgen die zur Festung ausgebaut wurden. Beispiele hierfür sind die Zitadelle Spandau, die Festung Peitz, die Burg Stolpen und die Festung Königstein.
189.816958
Q57831
3840
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Während man zunächst vier Bastionen scheinbar bevorzugte, kamen später fünf Bastionen in Mode, wie zum Beispiel bei den Schlössern/Festungen von Poel (abgegangen), Rietberg (abgegangen) und Ebreichsdorf. Schloss Philippseck ist hingegen ein Beispiel für die seltener angewendeten drei Bastionen. Bergschlösser wurden oft nur teilweise bastioniert, nämlich an den gefährdeten Hauptangriffsseiten. Ein Beispiel dafür ist das Schloss Moritzburg in Zeitz. Ursprünge des Bastionärsystems nach „italienischer Manier“
189.816958
Q57831
3841
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
In Italien wurde eine Lösung für die Beseitigung der wehrbaulichen Probleme (u. a. "toter Winkel" aus Kapitel "Erste Artilleriebefestigungen") gefunden. Bereits 1452 schlug Leon Battista Alberti in seinem Architekturlehrbuch De Re Aedificatoria (Buch IV, Kapitel 4) vor, dem Verlauf von Stadtmauern einen sägezahnartigen Grundriss zu verleihen. Ebenso plädierte er für erhöhte Außenränder eines Stadtgrabens bei gleichzeitig verringerter Mauerhöhe, damit Geschosse die Mauern nicht direkt treffen können. Im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts entwickelten andere italienische Architekturtheoretiker ähnliche Konzepte, daher auch die Bezeichnung der neuen Festungsbauart als trace italienne, doch fanden sie damit zunächst wenig Beachtung. Eine entscheidende Entwicklung begann 1487, als der Architekt Giuliano da Sangallo mit der Befestigung von Poggio Imperiale beauftragt wurde. Dabei plante er den Bau von zehn winkligen Bastionen, die weit aus den Festungsmauern herausragten. Die beiden vorderen Seiten einer Bastion, Facen genannt, liefen im Bastionswinkel zusammen, dem Saillant. Die beiden als Flanken bezeichneten, kürzeren hinteren Seiten bildeten mit dem Festungswall einen rechten Winkel. Bei einer Anordnung in regelmäßigen Abständen konnten sich Bastionen gegenseitig den bestmöglichen Feuerschutz bieten, wobei wegen ihres spitz zulaufenden Grundrisses kein toter Winkel vorhanden war. Deshalb setzten sich regelmäßige Vielecke als Idealform von Festungen durch.
189.816958
Q57831
3842
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Der Beginn der Italienkriege im Jahre 1494 beschleunigte die Entwicklung der bastionierten Befestigungsweise. Das in Norditalien eingefallene, französische Heer unter König Karl VIII. führte aus Bronze gegossene Kanonen mit sich, mit denen Eisenkugeln verschossen wurden. In Bezug auf Mobilität, Feuerkraft und Schussrate waren sie Bombarden überlegen. Ungehindert konnten die französischen Truppen nach Süditalien vordringen, wobei sie zahlreiche Städte und Burgen nach einem kurzen Bombardement einnahmen, sofern sich deren Garnisonen nicht kampflos ergaben. Antonio da Sangallo, der jüngere Bruder von Giuliano, wurde noch im selben Jahr von Papst Alexander VI. mit der Erneuerung des Forts von Civita Castellana beauftragt. Antonio da Sangallo ließ das Fort mit einem Rondell und vier Bastionen versehen. Von 1501 bis 1503 wurde in der päpstlichen Hafenstadt Nettuno ein bastioniertes Fort nach Plänen von Giuliano da Sangallo erbaut. Die Bastionen an den Ecken des quadratischen Forts wiesen eine wesentliche Neuerung auf. Der hintere Teil der Bastionsflanken wurde zurückgezogen und der vordere Teil abgerundet, wodurch das so genannte Orillon entstand. Das Orillon deckte die zurückgezogene Flanke, die für Belagerer nur schwer einzusehen war. Die zurückgezogenen Flanken verfügten über geschützbestückte Kasematten, sodass sich feindliche Truppen bei einem Sturmangriff auf den Wallabschnitt zwischen zwei Bastionen, der Kurtine, einem schweren Kreuzfeuer ausgesetzt sahen. Im Gegensatz zu seinem Bruder Giuliano ließ Antonio da Sangallo bei späteren Bauten Bastionen mit winkligen Orillons errichten.
189.816958
Q57831
3843
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Weitere Entwicklungen gehen auf den Veroneser Architekten Michele Sanmicheli zurück, der die altitalienische Manier des Festungsbaus prägte. Sanmicheli stand zeitweilig in päpstlichen Diensten und machte dabei Bekanntschaft mit den Sangallos, deren Ansätze zu einem Bastionärsystem er übernahm. Nach dem Sacco di Roma von 1527 kehrte er in die Republik Venedig zurück, wo er 1530 den Auftrag erhielt, seine Heimatstadt Verona zu befestigen. Sanmicheli ließ Wälle und Bastionen von geringer Höhe und zugleich großer Tiefe erbauen. Lediglich die äußere Seite der Festungsanlagen bestand aus Mauerwerk, das durch Stützpfeiler verstärkt und mit Erde aufgefüllt wurde. Um eine Erstürmung der relativ niedrigen Festungswerke zu erschweren, wurden diese mit einem breiten Graben umgeben. In den zurückgezogenen Flanken befanden sich zwei Geschützplattformen auf verschiedenen Ebenen, wodurch sich die seitwärts ausgerichtete Feuerkraft der Bastionen erhöhte. Entwicklung der neuitalienischen Manier Bis zum späten 16. Jahrhundert wurden Bastionsbefestigungen um weitere, grundlegende Elemente ergänzt, was zur Entstehung der neuitalienischen Manier führte. Im Jahre 1556 schlug Nicolo Tartaglia in seinen Quesiti et Inventioni diverse vor, am äußeren Rand des Festungsgrabens einen breiten Weg auszuheben, in dem sich Infanteristen postieren können. Eine feindwärts abfallende Erdaufschüttung, das Glacis, deckte den Weg und zugleich die niedrigen Wälle und Bastionen. Pietro Cataneo steigerte den Nutzen des gedeckten Weges durch Waffenplätze, die als Sammelpunkte für eine größere Anzahl von Soldaten dienten. Diese konnten besonders starke Widerstandsnester bilden oder einen Ausfall durchführen.
189.816958
Q57831
3844
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Die Bastionen wurden deutlich vergrößert und in Abständen angeordnet, die der Reichweite der damaligen Geschütze entsprachen. Kavaliere genannte Werke aus Erde bildeten auf den Bastionen eine erhöhte Geschützplattform. Zudem wurden in den Gräben vor sämtlichen Kurtinen Ravelins errichtet, die aus zwei zusammenlaufenden Facen bestanden. An ihrer Rückseite, der Kehle, waren sie breit genug, um den gesamten Grabenabschnitt zwischen den Bastionen unter Feuer nehmen zu können. Die Wälle, die Ravelins und der gedeckte Weg bildeten drei Verteidigungslinien, welche die für eine effektive Artilleriebefestigung notwendige Tiefe des Kampfraumes gewährleisteten. Mit der Entstehung des Bastionärsystems ging im Italien des 16. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit einher. Zahlreiche Städte erhielten eine komplette Umwallung aus bastionierten Befestigungsanlagen, doch ließ sich ein regelmäßiger, polygonaler Grundriss meist nur bei neu errichteten Idealstädten verwirklichen. In Städten wie Ancona, Florenz und Turin wurden zudem Zitadellen erbaut, die nicht nur den stärksten Teil einer Festungsstadt bildeten, sondern auch als Symbol fürstlicher Autorität verstanden werden sollten. Nach dem Vorbild der Bauten von Francesco Paciotto setzte sich das Fünfeck als Grundform der Zitadelle durch. Ein weiteres wehrbauliches Konzept war der Palazzo in fortezza, der befestigte Palast. Ein derartiges Bauwerk, der Palazzo Farnese, entstand von 1559 bis 1573 in Caprarola.
189.816958
Q57831
3845
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Der Bau von Artilleriebefestigungen war mit enormen Kosten und einem hohen Zeitaufwand verbunden. So sollte die Umwallung der Vatikanstadt nach Plänen aus dem Jahre 1537 achtzehn große Bastionen umfassen, doch musste diese Zahl bereits 1542 aus Kostengründen deutlich verringert werden. Erst im 17. Jahrhundert wurden die Arbeiten abgeschlossen. Verheerende Folgen hatte der Festungsbau für die Republik Siena, die 1553 mit der Bastionierung von siebzehn Städten begann und dafür einen Großteil ihres Haushalts aufwandte. Als 1554 ein spanisches Invasionsheer nach Siena vordrang, befanden sich die meisten Festungswerke noch im Bau, zudem fehlten den Sienesern nun die finanziellen Mittel zur Aufstellung eines schlagkräftigen Heeres. Die Republik wurde bis 1555 vollständig erobert. Festungsbau in den Niederlanden 1568 erhoben sich die Niederländer gegen die Herrschaft der spanischen Habsburger, wodurch der Achtzigjährige Krieg ausgelöst wurde. Die Aufständischen sahen sich zur schnellen Befestigung ihrer Stützpunkte gezwungen, was unter der Anpassung an die topographischen Gegebenheiten zur Herausbildung der altniederländischen Manier führte. Zunächst errichteten die Niederländer hinter den mittelalterlichen Mauern ihrer Städte Wälle und hoben Gräben aus, wie etwa 1572 bei der Belagerung von Haarlem. Bald darauf gingen sie dazu über, nach italienischem Vorbild geformte Bastionen und Ravelins aus Erde vor den Stadtmauern anzulegen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurden die niederländischen Festungswerke vollständig aus Erde erbaut, mit Grassoden bedeckt und von Wassergräben umgeben. Diese letzte Entwicklungsstufe hatte sich bereits 1533 bei der Befestigung von Breda durch Heinrich III. von Nassau im Voraus angedeutet. Ein theoretisches Fundament erhielt der vollständig auf Mauerwerk verzichtende, niederländische Festungsbau durch Autoren wie Simon Stevin, den Moritz von Oranien zum Generalquartiermeister ernannte.
189.816958
Q57831
3846
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Neben der Verwendung von Erde als einzigem Baustoff für Befestigungsanlagen traten weitere Besonderheiten. Um gegnerischen Truppen den Einsatz von Sturmleitern unmöglich zu machen, wurden spitze Holzpfähle in die Festungswerke gerammt, die so genannten Sturmpfosten. Zur besseren Beherrschung des Grabens wurden die Wälle und Bastionen von einem Weg und einem zusätzlichen, niedrigeren Schutzwall umgeben, der Fausse-Braie. Die niederländischen Ingenieure berücksichtigten stets die Reichweite von Musketen, sodass sie Bastionen in geringeren Abständen anordneten, als es nach der neuitalienischen Manier üblich war. Die Bastionen waren in der Regel weder kasemattiert noch mit zurückgezogenen Flanken versehen. Ein anderes, grundlegendes Charakteristikum des niederländischen Festungsbaus war die Anlage von zahlreichen Außenwerken, darunter Hornwerke und Kronwerke. Hinzu kamen die Demi-lunes, die im Graben vor den Bastionen errichtet wurden. Ein zweiter, schmalerer Wassergraben, die Avant-Fosse, umgab das Glacis. Moritz von Oranien ließ Städte wie Coevorden zu Idealfestungen der altniederländischen Manier umwandeln. Darüber hinaus erbauten die Niederländer 1599 entlang der Waal und der Maas einen Kordon aus Schanzen, der Schutz vor den von ’s-Hertogenbosch ausgehenden Angriffen der Spanier bieten sollte. Im Winter 1605 wurde der Kordon auf die IJssel ausgeweitet. Bei den Schanzen handelte es sich um kleine Befestigungsanlagen aus Erde, die durch Wälle miteinander verbunden wurden. Bei drohender Gefahr warnten ihre Besatzungen die Stützpunkte im Hinterland durch Schüsse oder Signalfeuer.
189.816958
Q57831
3847
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Die Instandhaltung der ohne Mauerwerk errichteten Festungsanlagen war äußerst aufwändig. Sie waren nur bedingt für die permanente Nutzung geeignet, sodass sie sich eher als weit entwickelte Feldbefestigungen einstufen lassen. Andererseits konnten sie innerhalb kurzer Zeit bei einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand erbaut werden. Zudem boten die Festungswerke aus Erde mit ihren breiten Wassergräben ein hohes Defensivpotenzial. Aufgrund dieser Vorzüge fand die altniederländische Manier im Laufe des 17. Jahrhunderts vor allem im nordeuropäischen Raum rege Verbreitung, wo Ziegel und Steine kostspielige Baustoffe waren. 1630 erschien die bedeutendste der in deutscher Sprache verfassten Abhandlungen über das Festungswesen in den Niederlanden, die Architectura Militaris Nova et Aucta von Adam Freitag. Verbreitung der bastionierten Befestigungsweise Frankreich
189.816958
Q57831
3848
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Während der Regentschaft von Franz I. fand das Bastionärsystem auch in Frankreich Verbreitung. 1534 engagierte Franz den italienischen Ingenieur Girolamo Marini, der zuvor für Papst Clemens VII. tätig gewesen war. Innerhalb weniger Jahre erhöhte sich die Zahl der italienischen Baumeister in französischen Diensten auf über Hundert. Unter der Leitung von Marini bastionierten sie mehrere Festungen in Nordfrankreich, darunter Maubert-Fontaine, Mézières und Mouzon. Nachdem französische Truppen 1543 Luxemburg eingenommen hatten, ließ Marini die Stadt mit Artilleriebefestigungen versehen, doch konnte Kaiser Karl V. sie bereits im darauf folgenden Jahr zurückerobern. Die von Karls Truppen auf diesem Feldzug zerstörte Ortschaft Vitry-en-Perthois wurde an einer anderen Stelle als Festungsstadt wieder aufgebaut und zu Ehren von Franz I. in Vitry-le-François umbenannt. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich auch französische Ingenieure mit der bastionierten Befestigungsweise vertraut gemacht. So beauftragte Generalmajor François de Scépeaux im Jahre 1552 den Sieur de Saint-Rémy mit der Befestigung von Verdun. Während der von 1562 bis 1598 tobenden Hugenottenkriege wurden in Frankreich zahlreiche provisorische Festungsanlagen errichtet. Die Hugenotten schütteten vor den Mauern der von ihnen kontrollierten Städte Bastionen und Ravelins aus Erde auf. Diese Befestigungsweise wurde unter anderem von den aufständischen Niederländern aufgegriffen und war als „à la Huguenote“ bekannt. Mit Hilfe des Venezianers Scipione Vergano bauten die Hugenotten ihren wichtigsten Stützpunkt, die Hafenstadt La Rochelle, im Jahre 1569 zu einer der stärksten Festungen auf französischem Boden aus. Der 1573 von Karl IX. unternommene Versuch, La Rochelle einzunehmen, scheiterte unter enormen Verlusten.
189.816958
Q57831
3849
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Heinrich IV. führte das Ende der Glaubenskämpfe herbei und konnte sich vor diesem Hintergrund auf die Sicherung der französischen Grenzen konzentrieren. Heinrich ließ ein umfangreiches Festungsbauprogramm durchführen, für das zwischen 1595 und 1610 knapp 7,8 Millionen Livres aufgewandt wurden. Grenoble, Toulon und fast dreißig weitere Städte wurden bastioniert und Grenzfestungen wie Boulogne, Calais und Montreuil verstärkt. Die meisten dieser wehrbaulichen Projekte wurden von Jean Errard de Bar-le-Duc geplant und geleitet, der 1594 mit La Fortification Démonstrée et Réduicte en Art eines der ersten französischen Werke über das Bastionärsystem veröffentlicht hatte. Die darin beschriebenen Fortifikationskonzepte wiesen gewisse Mängel auf, da Errard weitgehend auf Außenwerke verzichtete. Die Facen der von ihm entworfenen Bastionen bildeten mit den Flanken einen rechten Winkel, wodurch der gegenseitige Feuerschutz erschwert wurde. Dennoch gilt Jean Errard allein aufgrund der Vielzahl der von ihm geplanten Festungen als erster bedeutender französischer Ingenieur. Britische Inseln Im Februar 1539 ordnete Heinrich VIII. die Durchführung eines umfangreichen Festungsbauprogramms zur Sicherung der englischen Süd- und Ostküste an. Im Jahr zuvor hatten der französische König Franz I. und der römisch-deutsche Kaiser Karl V. ihre Differenzen vorläufig beigelegt, was in Heinrich die Befürchtung einer Invasion weckte. Der englische Monarch ließ 28 Küstenfestungen erbauen, wobei die dafür nötigen, finanziellen Mittel aus dem Verkauf der von ihm eingezogenen Kirchengüter stammten. Diese auch als Device Forts bekannten Festungen waren noch vor ihrer Fertigstellung wehrtechnisch überholt, da es sich bei ihnen um rondellierte Zirkularbauten handelte.
189.816958
Q57831
3850
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Erste Erfahrungen mit dem Bastionärsystem sammelten die Engländer 1545 bei der Belagerung von Boulogne, als sie unter der Anleitung des italienischen Baumeisters Girolamo Pennacchi bastionierte Feldbefestigungen anlegten. Wenige Jahre später entstanden auch in England Bastionsbefestigungen. Auf Weisung von Königin Maria I. arbeitete Sir Richard Lee 1558 einen Plan zur Fortifizierung von Berwick-upon-Tweed aus, dessen bauliche Umsetzung von mangelnden Fachkenntnissen zeugte. In den darauf folgenden Jahrzehnten sank der Stellenwert des Festungsbaus in England deutlich, was sich unter Elisabeth I. aufgrund der Gefahr einer spanischen Invasion änderte. Zwischen 1586 und 1588 ließ Elisabeth Dover und Great Yarmouth durch neue Festungswerke verstärken, doch hätten sich diese kurzfristigen Maßnahmen wahrscheinlich als nicht ausreichend erwiesen, wenn der spanischen Armada die Landung auf englischem Boden geglückt wäre.
189.816958
Q57831
3851
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Als 1642 der Bürgerkrieg ausbrach, verfügten nur wenige englische Städte über zeitgemäße Befestigungsanlagen. Bei der Sicherung ihrer Stützpunkte richteten sich sowohl Parlamentarier als auch Royalisten nach der niederländischen Befestigungsweise, mit der sich diverse Befehlshaber auf beiden Seiten als Freiwillige im Achtzigjährigen Krieg vertraut gemacht hatten. In Städten wie King’s Lynn wurden die mittelalterlichen Mauern durch Bastionen aus Erde ergänzt, während in Newark und Oxford mit der Aufschüttung einer vollständigen Umwallung begonnen wurde. Zur frühzeitigen Bindung feindlicher Kräfte wurden im Umland von zahlreichen Ortschaften bastionierte Forts errichtet, die so genannten Sconces. Wie bei allen bekannten Wehrbauten des Englischen Bürgerkriegs wurde Erde als primärer Baustoff für Sconces verwendet, doch erhielten manche eine Revetierung aus Holz. Eine Besonderheit stellten die Fortifikationen von Bristol, Chester, London und Plymouth dar, die aus einem Ring von Schützengräben, Schanzen, Forts und Hornwerken bestanden. Vorbild hierfür waren wahrscheinlich die Circumvallationslinien, mit denen Städte auf dem europäischen Festland bei einer Belagerung üblicherweise eingeschlossen wurden. Preußische Manier
189.816958
Q57831
3852
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Zur Zeit von Friedrich dem Großen kam es zur Einführung der altpreußischen Manier. Hierbei richtete sich die äußere Form wieder mehr nach dem Platzbedarf der Festungsstädte und nicht mehr nach geometrischen Grundsätzen (Polygonalsystem). Die Bastionen wurden stark verkleinert, und in einiger Entfernung wurde ein zweiter, äußerer Wall angelegt. An dessen Ecken wurden kleine Forts errichtet, die nach dem Tenaillensystem in günstigen Positionen (Hügel) gebaut wurden und die auch hinten einen „Abschlusswall“ besaßen, sodass sich jedes alleine verteidigen konnte. Beim Tenaillensystem handelte es sich um eine Art Sternform, sodass ein optimales Flankenfeuer noch besser gewährleistet wurde. Ein Baumeister namens Landsberg hatte diese Methode propagiert, doch wurde nur einmal eine ganze Festung (Neubefestigung von Magdeburg 1730) so errichtet, da sie sehr platzaufwendig waren und sehr verwundbar gegenüber Rikoschettschüssen (Kanonenschüsse mit vorausberechneten Abprallern), für die Forts war sie aber gut geeignet. Da die Abstände zwischen diesen Forts sehr groß waren, wurde dazwischen, in der Mitte jedes Wallstücks, eine Art Bastion errichtet, die ebenfalls einen Abschlusswall besaß und damit ein eigenes „Miniaturfort“ bildete. Bei längeren Abschnitten beider Wälle wurden häufig kleinere „Ausstülpungen“ eingeschoben. Durch vorher angelegte Minengänge konnte ein in Feindeshand geratener Teil der Festung jederzeit gesprengt werden.
189.816958
Q57831
3853
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Durch den Wiener Kongress 1814/15 konnte Preußen mit der Rheinprovinz sein Staatsgebiet erheblich vergrößern. König Friedrich Wilhelm III. erließ sofort Order, in der Rheinprovinz die großen Städte neu zu befestigen. In den folgenden Jahren entstanden z. B. die Festung Koblenz, die Festung Minden oder der Festungsring Köln. Andere preußische Festungen entstanden in Cosel, Königsberg, Magdeburg, Posen, Thorn, Wittenberg und einigen anderen Städten oder an Flussläufen wie die Festung Küstrin.
189.816958
Q57831
3854
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Die preußischen Festungen wurden nach modernsten Erkenntnissen, der neupreußischen oder neudeutschen Befestigungsmanier erbaut. Diese behielt die Grundsätze der altpreußischen bei und koppelte sie mit den Ideen vom Marquis de Montalembert und von Lazare Carnot. Anstatt Bastionen anzulegen, wurden im Festungsgraben große, zweistöckige hufeisenförmige Bauwerke (Kaponniere) errichtet, die durch ein vorgeschobenes Deckwerk aus Erde geschützt wurden (der Graben musste eine dreieckige Ausbuchtung erhalten, um alles zu umgeben). Dieses war gleich hoch wie die Kaponniere, während auf dem Dach derselben sich eine Brustwehr aus Erde befand. Die Kanonen der Kaponniere selbst konnten den Feind erst angreifen, wenn dieser am angrenzenden Graben stand – im Gegensatz zu Haubitzen und Mörsern. Deshalb wurden in der Spitze des Deckwerks weitere Bauwerke errichtet, die solche Wurfgeschütze enthielten. Zusätzlich wurden in den Ecken des gedeckten Wegs (zwischen Glacis und Graben) und unten im Graben kleine „Blockhäuser“ aufgestellt. Außerdem wurden die traditionellen Mauern an der Grabeninnenseite (Escarpe) jetzt auf die Höhe des Glacis erhöht, und zwischen dieser Mauer und dem Wall wurde ein kleiner Zwischenraum freigelassen, sodass man Schießscharten hinein machen konnte. Außerdem rutschte der Wall jetzt nicht mehr in den Graben, wenn diese Mauer eingeschossen wurde. In der Nähe der Kaponniere wurden außerdem häufig besonders breite Rampen angelegt, die in den Graben und hinaus auf den gedeckten Weg führten und so schnelle, großangelegte Ausfälle nicht mehr nur vom Tor aus ermöglichten. Zur weiteren Verbesserung des Flankenfeuers wurde die Innenwand des Glacis im leichten Zickzack angelegt. Indem man auch in der Mitte der einzelnen Wallabschnitte Deckwerke mit Kaponniere baute, konnte man diese länger machen.
189.816958
Q57831
3855
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Der – maximal ein Kilometer – vorgeschobene Fortgürtel besaß jetzt keine Verbindungswälle mehr, die Forts waren also voneinander abgeschnitten. Jedes Fort war in etwa bastionsförmig oder fast dreieckig und hatte im Inneren ein zweistöckiges Bauwerk mit Brustwehr auf dem Dach – es war also eigentlich ein abgeschnittenes Deckwerk mit Miniatur-Kaponniere. Die Forts hatten jetzt auch keinen hinteren Wall mehr, sondern nur mehr einen hinteren Abschluss mit einer Kehlkaserne und einem Kehlgraben – so ließen sie sich besser vom Hauptwall aus kontrollieren. Alle Abstände bei einer Festung konnten später, nach der Einführung der gezogenen Geschütze verlängert werden. Außer in Frankreich löste die neue Methode allgemein das Bastionärsystem rasch ab. Allerdings wurde dieses Neudeutsche System nur bei strategisch wichtigen Festungen eingesetzt, um Geld zu sparen, die anderen ließ man oft schon jetzt langsam verfallen oder man zerstörte sie. Die Franzosen beharrten als Einzige länger auf der fortlaufenden Instandsetzung des alten Festungsgürtels von Vauban. Nach dem verlorenen Krieg 1870/71 und dem Verlust von Elsaß-Lothringen bauten sie die Barrière de fer.
189.816958
Q57831
3856
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Nachdem Koblenz preußisch geworden war, begann man unverzüglich mit der Neubefestigung in neupreußischer Manier. Die Stadt Koblenz erhielt eine neue Stadtumwallung und auf den Höhenzügen um die Stadt wurden massive Festungen gebaut. Es entstand das größte militärische Bollwerk am Rhein, eine der stärksten Bastionen. Die Militäringenieure Gustav von Rauch und Ernst Ludwig von Aster errichteten mit ihr eine weitläufige Zitadelle, die bis heute das Stadtbild von Koblenz prägt. Die Stadtbefestigung wurde 1890 wegen der fortschreitenden Kriegstechnik (Brisanzgranate, Eisenbahngeschütze) aufgegeben und vollständig abgerissen. Die Festungen in Koblenz verloren an militärischer Bedeutung, blieben aber bis zum Ersten Weltkrieg in Funktion. Danach wurden sie zum Teil geschleift oder verwahrlosten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, neben Koblenz vor allem Metz, Straßburg, Mainz, Köln, Thorn und Posen, rückte der Unterhalt und die Anpassung von Festungen an die Entwicklung der Militärtechnik nach 1871 in den Hintergrund. Der strategische Schwerpunkt lag auf möglichst mobilen Heereseinheiten. Zudem verschlang das Deutsch-Britische Flottenwettrüsten Summen, die unter anderem bei den Festungen eingespart wurden. Vor allem im Landesinneren wurden zahlreiche Festungen ganz aufgegeben und die Festungsringe, wenn auch zum Teil zögerlich, für Stadterweiterungen und Straßenbau freigegeben. Andere Städte blieben formal Festungen, die Verteidigungsanlagen wurden aber nicht mehr modernisiert. In den verbliebenen Festungsstädten verfügten die Festungsgouverneure und -kommandeure insbesondere im Fall einer militärischen Bedrohung über erhebliche Machtmittel gegenüber der städtischen Bevölkerung sowie der zivilen Verwaltung und Politik. Dazu zählte unter anderem die mögliche Ausweisung von Teilen der Bevölkerung, insbesondere wegen politischer Unzuverlässigkeit und wegen drohender Versorgungsschwierigkeiten.
189.816958
Q57831
3857
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Zudem galten für Bewohner von Festungsstädte besondere Vorschriften, vor allem zur Bereithaltung von Vorräten, um die eigene Versorgung im Fall einer Einschließung durch gegnerische Kräfte sicherstellen zu können. Allerdings hätte die Militärverwaltung die in der Stadt verbleibenden Armen aus ihren eigenen Vorräten verpflegen müssen. Die Detailregelungen für den Fall der drohenden Einschließung verblieben lange auf dem Stand von kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts. Erst 1913 versuchte die deutsche Reichsregierung angesichts der allgemeinen Kriegserwartung die Verteidigungsfähigkeit der Festungen zu überprüfen und zu erhöhen. Je nach erwarteter Bedrohung sollten die Festungen zwischen drei und sieben Monaten zur autarken Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, Medikamenten und Verbandsmaterial, in der Lage sein. Auf die Regierungsinitiative hin bildeten sich lokale Verpflegungsausschüsse, die den Stand der Vorbereitungen erfassen sollten. Die Erhebungen ergaben weitgehend das Bild unzureichender Überlebensfähigkeit. So wären in Köln die Kranken- und Waisenhäuser für rund zwei Monate und damit nahezu dem Mindestmaß entsprechend ausgestattet gewesen, die allgemeine Bevölkerung hätte aber allenfalls zwei Wochen lang ernährt werden können. Es folgten Beratungen und Erörterungen, bei denen es vor allem um die Kostenaufteilung der nötigen Verproviantierung zwischen den Kommunen und dem Reich ging. Diese waren erheblich. So wurden die Kosten für eine ausreichende Verproviantierung der Stadt Posen auf zehn Millionen Mark geschätzt, zu denen nach Kriegsbeginn noch einmal acht Millionen hinzugekommen wären. Umgesetzt wurde bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs jedoch kaum etwas. Aber auch die mögliche Ausweisung Arbeitsunfähiger wurde näher erörtert. So wurden 1914 für Köln rund 100.000 Abzuschiebende, rund 16 Prozent der Stadtbevölkerung, angenommen. Diese Menschen hätten im Umland in Notunterkünften untergebracht werden sollen.
189.816958
Q57831
3858
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Tatsächlich umgesetzt wurden Ausweisungen zunächst vor allem an und in der Nordsee. So musste fast die gesamte Helgoländer Bevölkerung bereits im August 1914 überstürzt die Insel verlassen und wurden anschließend zum Teil durch die Militärbehörden durch Geldzahlungen versorgt. Von Borkum gingen 575 Personen, teils freiwillig, teils auf Anweisung der Militärbehörden, aufs Festland. Der Großteil kehrte allerdings Mitte Oktober 1914 wieder zurück. Rund 50 Einwohner mussten die stark befestigte Insel Wangerooge verlassen. Auf den Nordfriesischen Inseln wurden bis zu 70 Personen in Schutzhaft genommen, die aber nach der Neutralitätserklärung Dänemarks wieder freikamen. Diese Anordnungen dienten vor allem auf Helgoland und Wangerooge dem Schutz der Bevölkerung vor Folgen eventueller Kampfhandlungen, sollten aber vor allem die Unterstützung möglicher britischer Landungsoperationen vereiteln. In kleinem Umfang kam es auch in den östlichen Festungsstädten zur Evakuierung eines Teils der Bevölkerung. So wurden in Königsberg im August 1914 Familienangehörige von Militärpersonal sowie Rekruten nach Westen ins Landesinnere gebracht. In Breslau wurden die Insassen von Strafanstalten und Irrenhäusern abgeschoben. Darüber hinaus verfügten Festungskommandanten auch über Befugnisse zur Pressezensur, zur Einschränkung kultureller Aktivitäten sowie zur Überwachung und vorübergehenden Verhaftung oder Abschiebung ins Reichsinnere einzelner Personen. Diese wurden insbesondere gegen nationale Minderheiten in Nordschleswig (Dänen), Preußen (Polen) und Lothringen (Franzosen) genutzt.
189.816958
Q57831
3859
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Weitere Festungen Außerhalb Preußens entstanden etwa die deutsche Bundesfestung Ulm, die bayerisch-pfälzischen Festungen (Landesfestung Ingolstadt, Festung Rothenberg, Festung Germersheim), in Kursachsen die Dresdner Befestigungsanlagen, die Festung Torgau und die Festung Königstein, im Fürstbistum Bamberg die Festungen Rosenberg und Forchheim, die Würzburger Festung Marienberg, die badische Festung Rastatt. Die fünf Forts des zweiten Verteidigungsrings der kurerzbischöflichen Festung Mainz, die bereits zwischen 1710 und 1735 gebaut wurden, wurden modernisiert, weitere 18 Forts entstanden in einem dritten Verteidigungsring. In der Schweiz entstand ab 1659 die Festung Aarburg, in Italien wurde die alte Festung Civitella del Tronto neu befestigt, Oslo wurde mit der Festung Akershus befestigt, im 19. Jahrhundert entstand die Festung Antwerpen. Feste
189.816958
Q57831
3860
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Als Feste (auch Gruppenbefestigung oder französisch groupe fortifié) bezeichnet man einen in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Festungstyp. Die immer stärker gewordene Angriffsartillerie erforderte es, die Geschütze einer Festung, die den Fernkampf zu führen hatten, unter Panzerschutz zu stellen. Gleichzeitig musste der Infanterie durch betonierte Kasernen ein entsprechender Schutz geboten werden. Das entscheidende Merkmal der Feste war, die Lage vor allem dieser beiden wichtigsten Elemente einer modernen Festung – Panzerbatterie und Infanteriewerk – ausschließlich an die Lokalität anzupassen. Die einzelnen Anlagen wurden über das Gelände verstreut (sogenannte aufgelöste Bauweise), um aus der gegebenen Landschaft einen möglichst großen taktischen Vorteil zu gewinnen. Damit endete die Zeit der Einheitsforts im Festungsbau. Das neue Konzept wurde in Deutschland mit AKO (Allerhöchster Kabinetts-Ordre) vom 30. Juni 1897 beschlossen. Als erste Befestigung dieses neuen Typs wurde die Feste Haeseler südlich von Metz ab 1899 errichtet. Insgesamt wurden erbaut: In den dreißig Jahren vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurden rund 500 Millionen Reichsmark investiert, um die Landesverteidigung zu stärken. Festungen des Ersten Weltkrieges Österreich-Ungarn An der Straße von Bovec in Slowenien zum Predilpass (slow. Predel) befinden sich zwei k. u. k. Festungswerke des Ersten Weltkrieges: die 1881/82 erbaute sog. Flitscher Klause (slow.: Trdnjava Kluže) und die Ruine des Forts Hermann. Beide Festungen sollten den strategisch wichtigen Predelpass ins Kanaltal abriegeln und waren somit ein Teil der Isonzofront. Vom Fort Hermann steht nur noch eine Ruine. Dessen Betonpanzer konnte den neuartigen Granaten nicht standhalten. „Festung“ im Zweiten Weltkrieg (1944/45)
189.816958
Q57831
3861
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) prägte Adolf Hitler den Begriff um: als Bezeichnung von Orten, die aufgrund ihrer operativen Bedeutung als Verkehrsknotenpunkte besonders hartnäckig verteidigt werden sollten, auch wenn das ihre Einschließung bedeutete. Im März 1944 erklärte er per Führerbefehl zahlreiche Orte zu Festungen. Das Konzept bewährte sich nicht und führte zu größeren Verlusten der Wehrmacht. Hitler ernannte im Januar 1944 alle wichtigen Hafenstädte im Westen zu „Festungen“. Beispiele: Am 27. Mai 1944 griffen amerikanische Bomber die deutschen Militäranlagen in Marseille an. Am 28. August kapitulierten nach einwöchigem Kampf die deutschen Besatzer gegenüber den Truppen des Freien Frankreich. Die Verteidiger kämpften nicht so fanatisch wie zum Beispiel in OKW-Befehlen von Februar 1944 zur Verteidigung von Festungen gefordert. Darin war befohlen, „bis zum letzten Mann“ zu kämpfen und keinesfalls zu kapitulieren. Nach der Landung in der Normandie griffen alliierte Truppen Caen an. Es kam zur verlustreichen Schlacht um Caen, da die Alliierten aus ihrem Brückenkopf ausbrechen und die Deutschen dies verhindern wollten. Caen war der einzige große Seehafen in diesem Brückenkopf und für die Anlandung des alliierten Nachschubs sehr wichtig. Paris wurde 1944 zur Festung erklärt, obwohl die Deutschen kaum Ressourcen hatten, um die Stadt zu verteidigen. Hitler gab den Trümmerfeldbefehl, der Stadtkommandant Dietrich von Choltitz ignorierte diesen und kapitulierte im August 1944. Hitler erklärte Anfang Dezember 1944 Budapest zur Festung. Ehemalige Festungen und der Denkmalschutz
189.816958
Q57831
3862
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Nach der Aufgabe einer Festung wurden im Normalfall sämtliche Festungswerke geschleift, das heißt beseitigt und einer zivilen Nutzung zugeführt. Auf diese Art und Weise sind die meisten Festungen in Deutschland und in den europäischen Nachbarstaaten dem Erdboden gleichgemacht worden. Dies geschah vor allem im Zusammenhang mit der Entfestigung der großen Städte und nur in eher seltenen Fällen konnte eine städtische Festung der Nachwelt erhalten bleiben. Noch heute finden sich in den meisten europäischen Städten topografische Spuren der ehemaligen Befestigungen, da der mit dem Schleifen gewonnene ebene Baugrund zumeist zum Anlegen breiter Prachtstraßen verwendet wurde. Diese wurden entweder auf dem kompletten Festungsring oder doch auf Teilen davon errichtet. Die wohl bekanntesten Beispiele sind neben Paris (das schon unter Ludwig XIV. entfestet wurde), Mannheim, Dresden, München und Wien. Die Befestigungen Wiens samt Glacis wurde aufgrund der in der k.u.k. Generalität noch immer präsenten Angst vor der Türkengefahr erst in den 1850er Jahren geschleift. Auf den freigewordenen Flächen wurden die Ringstraße und zum Teil sehr vornehme Stadtviertel errichtet, die nun Wien und die Wiener Vorstädte zu einer einheitlichen Stadt verbanden. Auch die im Französischen gebräuchliche Bezeichnung Boulevard weist auf die ehemaligen Befestigungen hin, denn das französische Wort leitet sich von „Bollwerk“ ab und bezeichnet die an Stelle der ehemaligen Bollwerke angelegten Straßen. In manchen Städten hat sich sogar noch das Bastionärsystem im zick-zack-förmigen Straßenverlauf der Ringstraße niedergeschlagen. Auch in Berlin finden sich in den Straßennamen Reminiszenzen an die ehemaligen Befestigungen: Oberwall-, Niederwall- und die Wallstraße erinnern an den ursprünglichen Verlauf der Anlage. Weiterhin zeichnet die Berliner Stadtbahn mit ihrem gebogenen Verlauf zwischen den Bahnhöfen Jannowitzbrücke und Hackescher Markt den Verlauf des alten Festungsgrabens nach.
189.816958
Q57831
3863
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
In Dresden wurden Teile der Festungsanlagen umfunktioniert und haben heute herausragenden Stellenwert als Kultureinrichtungen und Ensembles von Bauwerken. So wurde eine Bastion zum Zwinger umgebaut. Auf der Seite des Kronentors wurde vor dem Zweiten Weltkrieg der schon verlandete Wassergraben der Festung freigelegt. Auch die Brühlsche Terrasse geht auf die Festungsanlage zurück und besitzt bis in die Gegenwart Kasematten der Festung. Eine Besonderheit des Festungsbaus stellt in Deutschland die Festung Minden mit ihrem befestigten Bahnhof dar. Die Anlage ist wegen ihrer frühen Aufhebung und der anschließend unterlassenen Schleifung in weiten Teilen erhalten geblieben. Sie gibt den Stand des Festungsbaues des 19. Jahrhunderts wieder und stellt weiterhin anschaulich den Zusammenhang von Festung und Eisenbahn her. Die Festung Plassenburg in Kulmbach präsentiert sich heute trotz der Teilzerstörung von 1806/07 als gewaltige Verteidigungsanlage, in deren Kern sich ein vierflügeliger Renaissancepalast befindet. In der Plassenburg zeigen sich nebeneinander mittelalterlicher Burgenbau, frühneuzeitliche Verteidigungsbauweise mit Rondellen und Basteien in Ausmaßen wie sie Albrecht Dürer in seiner Befestigungslehre von 1527 forderte, Bastionen in unterschiedlichen Bauweisen des 16. und 17. Jahrhunderts, sowie Kasernenbauten des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit der Hohen Bastei verfügte die Plassenburg über eines der größten Bollwerke dieser Art. Nach umfangreichen Umbauten der Nationalsozialisten durch Fritz Todt und Siegfried Schmelcher zwischen 1937 und 1942 erhält und restauriert seit den 1950er Jahren die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen die Festung.
189.816958
Q57831
3864
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Von der Bundesfestung Ulm (1842–1859, mit nachträglichen Erweiterungen) ist trotz umfangreicher Abbruchmaßnahmen im frühen 20. Jahrhundert und in den 1960ern das meiste erhalten geblieben – so stehen heute noch die komplette Nordumwallung samt der Wilhelmsfeste, ein großer Teil der westlichen Neu-Ulmer Stadtumwallung, Reste der Stadtfronten westlich und östlich der Ulmer Altstadt sowie 12 der 14 Außenforts. Aus der Zeit der Reichsfestung Ulm stehen heute noch einige kleine, zum Teil nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengte Betonwerke der Hauptkampfstellung 1914. Um den Erhalt der gesamten Anlage kümmert sich heute der Förderkreis Bundesfestung Ulm. Von der 1937 offiziell aufgelassenen Bayerischen Landesfestung Ingolstadt sind noch zahlreiche Bauwerke aus verschiedenen Epochen erhalten, vor allem von den klassizistischen Befestigungen im stadtnahen Bereich. Von den Kavalieren wurde lediglich der Kavalier Spreti 1963 abgerissen. Die meisten Werke des vorgeschobenen Fortgürtels wurden allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg auf Befehl der amerikanischen Besatzungsmacht gesprengt; hier existiert lediglich noch das Fort Prinz Karl. Vor allem an der Nordostgrenze Frankreichs blieben indes viele Festungsanlagen nahezu komplett erhalten (Belfort, Neuf-Brisach). Auch dies ist, parallel zu Wien, auf die Angst der zuständigen Generalität zurückzuführen, die in ständiger Sorge um eine Wiederholung des verheerenden Einmarsches der Deutschen im Jahre 1870 den bestehenden Festungsgürtel aufrechterhielten und ausbauten. Dies schien angesichts des siegreichen Ausganges des Ersten Weltkrieges eine erfolgversprechende Strategie zu sein, an deren Ende der Bau der Maginot-Linie stand. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte, nicht zuletzt forciert durch Charles de Gaulle, ein allmähliches Umdenken der französischen Verteidigungspolitik.
189.816958
Q57831
3865
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Mit der Erforschung historischer Festungen und ihrer Umgebung (Städte, Regionen) befassen sich verschiedene Vereinigungen in Europa. In Deutschland ist es die Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e. V. (DGF), die regelmäßig wissenschaftlich publiziert, jährlich Tagungen und Exkursionen organisiert und im Jahr 2021 auf ihr vierzigjähriges Bestehen zurückblickt. Sie hat von Anfang an mit gleichartigen europäischen Initiativen und Einrichtungen eng zusammengearbeitet, so mit der Österreichischen Gesellschaft für Festungsforschung, der FORT.CH (Schweiz), der Stichting Menno van Coehoorn (Niederlande), der Fortress Study Group (Großbritannien), der Association Vauban (Frankreich) und den „Frënn vun der Festungsgeschicht Lëtzebuerg“ (Luxemburg). Auch das östliche Europa ist beteiligt; bereits auf der ersten Internationalen Tagung der DGF – 1981 in Wesel – waren zwei Wissenschaftler aus Polen, von der Politechnika Gdanska, als Referenten tätig. Es ist heute Aufgabe des Denkmalschutzes, die ehemaligen Festungsanlagen oder deren Reste zu erhalten, damit sich die Menschen auch in späteren Zeiten noch eine Vorstellung über diese vergangene Epoche und den Folgen für ihr eigenes Leben machen können. Zitate Siehe auch Liste von Festungen Fachbegriffe Festungsbau Schlüsselgelände Literatur
189.816958
Q57831
3866
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Zeitgenössische Quellen Honorat de Meynier: Fortification-Baw. Hoffmann, Frankfurt am Main 1642 . Festungsbau aus „Das kleine Buch vom Deutschen Heere“, Lipsius und Tischer, Kiel und Leipzig 1901 Praxis Artis Muniendi Modernae, das ist: Ausführliche Anweisung des Fortification-Baues. [S.l.] 1689, Online-Ausgabe der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Theoria Artis Muniendi Modernae, das ist Kunstmässige Hand-Grieffe, und Anweisung der vierfachen Fortification, nach welcher heutiges Tages in Europa die Vestungen pflegen erbauet, und mit Aussenwercken verwahret zu werden. Franckfurt 1689, Online-Ausgabe der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Speculum Artis Muniendi Lucidissimum, das ist: Hell-Leüchtender Fortifications-Spiegel. Leipzig 1694, Online-Ausgabe der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Übersichts- und Forschungsliteratur Karl Bauer: Fort Max Emanuel und Fort Prinz Karl der Festung Ingolstadt. 2. und 3. Auflage. Polygon, Eichstätt 2010, ISBN 978-3-928671-38-5 und -56-9. Tobias Büchi: Fortifikationsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts: Traktate deutscher Sprache im internationalen Kontext. Basel: Schwabe 2015 Tobias Büchi: Die Festung Basel, Daniel Specklin und der Dreissigjährige Krieg. Basel: Colmena, 2021 Christopher Duffy: Fire & Stone. The Science of Fortress Warfare. 1660–1860. 2. Auflage. Greenhill Books, London 1996, ISBN 1-85367-247-5. Christopher Duffy: Siege Warfare. The Fortress in the Early Modern World.
189.816958
Q57831
3867
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
1494–1660. 2. Auflage. Routledge, London 1996, ISBN 0-415-14649-6. Christopher Duffy: Siege Warfare Volume II. The Fortress in the Age of Vauban and Frederick the Great. 1680–1789. Routledge, London 1985, ISBN 0-7100-9648-8. Henning Eichberg: Militär und Technik. Schwedenfestungen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden. Schwann, Düsseldorf 1976, ISBN 3-590-18107-9. Henning Eichberg: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie. Kriegsingenieurwesen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden. Böhlau, Köln/ Wien 1989, ISBN 3-412-01988-7. Frank Gosch: Festungsbau an Nordsee und Ostsee. Die Geschichte der deutschen Küstenbefestigungen bis 1918. Mittler, Hamburg u. a. 2003, ISBN 3-8132-0743-9. Michael Losse: Festung, Festungsbau. In: Horst Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich, Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-010547-1, S. 123–126, doi:10.11588/arthistoricum.535. Hartwig Neumann: Festungsbau-Kunst und -Technik. area, Erftstadt 2004, ISBN 3-89996-268-0. Werner Oechslin, Tobias Büchi, Martin Pozsgai: Architekturtheorie im deutschsprachigen Kulturraum: 1486–1648. Basel: Colmena, 2018 Geoffrey Parker: The Military Revolution.
189.816958
Q57831
3868
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Military Innovation and the Rise of the West, 1500–1800. 2. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 1996, ISBN 0-521-47958-4. Rudi Rolf: Die Deutsche Panzerfortifikation. Osnabrück 1991, ISBN 3-7648-1784-4. Rudi Rolf: Die Entwicklung des deutschen Festungssystems seit 1870. Tweede Exloermond 2000, ISBN 90-76396-08-6. Ulrich Schütte: Das Schloss als Wehranlage. Befestigte Schlossbauten der frühen Neuzeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994, ISBN 3-534-11692-5 (zur Anwendung von Bollwerken/Kanonenbatterien, Rondellen und Bastionen an Burgen und Schlössern des 15. bis 18. Jh.) Ernst Seidl (Hrsg.): Lexikon der Bautypen. Funktionen und Formen der Architektur. Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-15-010572-2. Julia Seelig: Das UNESCO-Weltkulturerbe „Stelling van Amsterdam“. Historische Bedeutung und heutige besucherorientierte Nutzung einer niederländischen Großfestung, Beiträge zur angewandten Festungsforschung, Bd. 2, hrsg. von Ingo Eberle und Anja Reichert, zuerst als Diplomarbeit im Fachbereich Geographie und Geowissenschaften der Universität Trier, Norderstedt: BoD, 2007, ISBN 978-3-8334-8558-9.
189.816958
Q57831
3869
291
https://de.wikipedia.org/wiki/Festung
Festung
Zeitschriften und Schriftenreihen Beiträge zur internationalen Festungsforschung. (Schriftenreihe). Roderer, Regensburg 2001–. Schriftenreihe Festungsforschung. Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung (DGF), Frankfurt am Main u. a. 1981–, . Festungsjournal. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung (DGF). Dortmund u. a. 1982-, . Zeitschrift für Festungsforschung. Wissenschaftliches Organ der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e. V., Schriftleitung: Volker Schmidtchen (verantwortlich), Klaus Martin Hofmann, Burkhard Pape. Redaktion: Thomas Biller u. a. 1982–1988. . Weblinks Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung Studienkreis für internationales Festungs- Militär und Schutzbauwesen Schweizer Festungen des 20. Jahrhunderts Kölner Festungsmuseum Französische Literatur über Festungen The Fortress Study Group Einzelnachweise Befestigungstyp Befestigungswesen (Frühe Neuzeit)
189.816958
Q57831
3870
292
https://de.wikipedia.org/wiki/Filehosting
Filehosting
File Hosting ist eine Online-Dateiablage, die es Nutzern erlaubt, Dateien über das Internet oder ein Unternehmensnetzwerk auf einem zentralen Datenspeicher abzulegen und über einen Client oder via Webbrowser darauf zuzugreifen. Lassen sich die Dateien auch mit anderen Personen teilen, so spricht man auch von Sharehostern bzw. Filesharing. In den meisten Fällen bieten File-Hoster auch File-Sharing-Funktionalität und die beiden Begriffe sind daher nicht klar voneinander abgegrenzt. Es gibt kommerzielle Anbieter für Privatpersonen und Unternehmen ebenso wie Softwarelösungen für den Betrieb eines privaten Servers. Aus wirtschaftlichen, technischen oder politischen Gründen kann die Verfügbarkeit der Dateien eingeschränkt oder durch Abschaltung der Dateispeicher sogar unmöglich werden.
85.277832
Q1343205
3871
292
https://de.wikipedia.org/wiki/Filehosting
Filehosting
Funktionen Je nach Anbieter und Server-Software werden unterschiedliche Funktionen bereitgestellt. Meistens sind das: Versionierung von Dateien, so dass von einer Datei (mit gleichem Namen) unterschiedliche Versionsstände gespeichert werden Wiederherstellung alter Dateiversionen Papierkorbfunktion (d. h. die Wiederherstellung gelöschter Dateien) Dateiup- und download via Smartphone-App auf Android-Geräten und iPhone/iPad Synchronisation von online und offline Datenbestand (d. h. zwischen Daten auf dem Server und dem/den Client/s) Online Bearbeitung von Office Dokumenten via Webinterface direkt auf dem Server (z. B. text- oder tabellenbasierte Dateien) Automatische E-Mail-Benachrichtigung für die Empfänger, wenn Dateien für sie eingestellt worden sind. Benachrichtigung, wenn bestimmte Dateien automatisch gelöscht worden sind. Z. B. wenn der Absender wünscht, dass die hochgeladenen Dateien nach einem bestimmten Zeitraum von dem Dateiaustauschdienst automatisch gelöscht werden. Automatische Konvertierung von bestimmten Dateiformaten (z. B. wurde eine Bilddatei vom Sender als JPG hochgeladen und kann vom Empfänger im GIF-Format heruntergeladen werden.). Vergabe von Zugriffsrechten auf einzelne Verzeichnisse, Verzeichnisbäume, einzelne Dateien und Dateigruppen. Dadurch wird dem Anwender nur das gezeigt, auf das er Zugriff hat. Freigeben von Dateien für andere Personen, etwa durch einen Freigabe-Link Interne (relative) HTML-Links zu benachbarten Dateien. File Hosting-Anbieter Zu den bekannten File Hosting-Anbietern gehören: Dropbox Google Drive iCloud Microsoft OneDrive SpiderOak WeTransfer Software File Hosting Serversoftware ownCloud – Open Source. Nextcloud – Open Source. Fork des Gründers von ownCloud, Frank Karlitschek. Seafile – Community Edition Open Source TeamDrive Kommandozeilenprogramme zum Abgleichen von Dateien rsync Unison (Software)
85.277832
Q1343205
3872
292
https://de.wikipedia.org/wiki/Filehosting
Filehosting
Mögliche Kritik Cloud-Anbieter sind nicht immer vertrauenswürdig. Manche Anbieter sind teuer. Man braucht eine Internetverbindung. Wartezeiten beim Hoch- oder Herunterladen von Dateien Man ist abhängig vom Anbieter. Die Dateien bleiben nicht immer privat. Hacking ist möglich. Siehe auch Enterprise File Sync & Share Online-Dienst Filesharing Webhosting Liste von Datensicherungsprogrammen Einzelnachweise Cloud Computing
85.277832
Q1343205
3873
293
https://de.wikipedia.org/wiki/Rotbannerorden
Rotbannerorden
Die Regierung Sowjetrusslands stiftete den Rotbannerkampforden, besser bekannt als Rotbannerorden (), am 16. September 1918 während des Russischen Bürgerkrieges. Er bestand später als Auszeichnung der Regierung der UdSSR weiter, die ihn am 1. August 1924 stiftete. Der Orden wurde bis 1991 verliehen. Geschichte Mit dem Rotbannerorden wurden militärische Heldentaten anerkannt. Vor der Stiftung des Leninordens am 6. April 1930 fungierte der Rotbannerorden als höchster (und praktisch einziger) militärischer Orden der UdSSR. Fast alle bekannten sowjetischen Kommandeure waren (zum Teil mehrfache) Träger des Rotbannerordens. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Rotbannerorden als besondere Tapferkeitsauszeichnung für heroische Einzeltaten oder aber für militärische Verdienste im Kampf über einen längeren Zeitraum hinweg verliehen. Er war somit das sowjetische Äquivalent zum deutschen Eisernen Kreuz 1. Klasse. Erst ab Mitte 1944 wurde der Rotbannerorden auch für lange Dienstzeit in den sowjetischen Streitkräften verliehen (20 Jahre) und somit in seinem Ansehen deutlich abgewertet. Mehrfachverleihungen waren möglich; die Orden der Mehrfachverleihungen erhielten im unteren Drittel einen mitgeprägten, weiß emaillierten Wappenschild mit goldener Mehrfachverleihungsnummer. Die höchste hergestellte Mehrfachverleihungsnummer ist die ‚8‘, die höchste bekannte Anzahl der Mehrfachverleihungen ist ‚7‘. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Orden auch an ganze militärische Einheiten/Verbände, an Städte, Schiffe, politische und gesellschaftliche Organisationen, Staatsunternehmen, Kolchosen usw. verliehen, wenn sie sich um die Verteidigung des Vaterlandes verdient gemacht hatten. Obwohl offiziell zunächst vorgesehen war, dass nur der Orden mit der höchsten Mehrfachverleihungsnummer an der Uniform getragen werden sollte, trugen die meisten Beliehenen zusätzlich auch alle bereits zuvor verliehenen Rotbannerorden.
135.997666
Q337463
3874
293
https://de.wikipedia.org/wiki/Rotbannerorden
Rotbannerorden
Der Orden bestand aus einem rot und weiß emaillierten Abzeichen, auf dem das goldene Hammer-und-Sichel-Emblem, umgeben von zwei goldenen Weizenähren, auf einem Roten Stern, dahinter gekreuzt Hammer, Pflug, Fackel und eine Rote Fahne mit dem Motto Пролетарии всех стран, соединяйтесь! (Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!) abgebildet waren; unten waren zunächst die kyrillischen Buchstaben РСФСР (transkribiert RSFSR) für ‚Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik‘ und später die kyrillischen Buchstaben СССР (transkribiert SSSR) für ‚Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken‘ auf dem Roten Band zu sehen. Der Orden wurde ursprünglich als Orden an Schraube mit Schraubscheibe verliehen, der auf der linken Brustseite getragen wurde. Eine Ordensspange mit aufgelegtem Band wurde 1943 im Rahmen einer Vorschriftenänderung hinzugefügt. Das Band bestand aus rotem Seidenmoiré mit einem breiten weißen Mittelstreifen und einem dünnen weißen Streifen an den Rändern. Träger des Rotbannerordens (Auswahl)
135.997666
Q337463
3875
293
https://de.wikipedia.org/wiki/Rotbannerorden
Rotbannerorden
Iwan Nikitowitsch Koschedub (siebenfach) Michail Michailowitsch Gromow (vierfach) Josef Stalin (dreifach) Marschall Wassili Konstantinowitsch Blücher, erster Träger des Ordens Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow (dreifach) Anton Semjonowitsch Makarenko Nikolai Erastowitsch Bersarin Bessarion Lominadse Clara Zetkin Harro Schulze-Boysen (postum 1969) Arvid Harnack (postum 1969) Adam Kuckhoff (postum 1969) Hansheinrich Kummerow (postum 1969) Ilse Stöbe (postum 1969) Kurt Fischer (postum 1969) Max Hoelz (in Abwesenheit 1927) Kaspische Flottille Rosalija Samoilowna Salkind, die erste Frau mit dieser Auszeichnung Ruth Werner (zweifach) Markus Wolf Baltische Flotte (Baltische Rotbannerflotte) Gesangs- und Tanzensemble der russischen Armee, A. W. Alexandrow (zweifach) Nina Onilowa Andere Orden Während des Russischen Bürgerkrieges existierten noch andere ähnlich benannte Orden, die von anderen konstituierten und nicht konstituierten Sowjetrepubliken gestiftet worden waren. Am 28. Dezember 1920 stiftete Sowjetrussland den Orden des Roten Banners der Arbeit für Arbeits- und Zivilleistungen. Das allsowjetische Äquivalent datiert vom 7. September 1928. Siehe auch Leninorden Orden der Oktoberrevolution Weblinks Beschreibung (englisch) Dekret vom 16. September 1918 (russisch) Einzelnachweise Orden und Ehrenzeichen (Sowjetunion) Träger des Rotbannerordens
135.997666
Q337463
3876
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Die Raumflugmechanik ist ein Fachgebiet der Luft- und Raumfahrttechnik und befasst sich mit den Bewegungsgesetzen natürlicher und künstlicher Himmelskörper unter dem Einfluss der Gravitation anderer Körper und gegebenenfalls ihres eigenen Antriebes. Sie erweitert das Gebiet der Himmelsmechanik, mit der sie den geschichtlichen Hintergrund wie auch die grundlegenden physikalischen Gesetze gemeinsam hat. Geschichte Die Bewegungen der Planeten – einschließlich der Erde – um die Sonne wurden bereits in der Antike vermutet und von Nikolaus Kopernikus in der Neuzeit (1543) erneut postuliert. Gestützt auf Beobachtungen insbesondere seines Lehrmeisters Tycho Brahe konnte Johannes Kepler 1608/09 die nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegungen aufstellen. Die Erklärung des mathematischen Hintergrundes und der die Anziehung vermittelnden Gravitationskraft gelang erst Isaac Newton 1687. Die Abspaltung von der konventionellen Himmelsmechanik lässt sich 1903 mit der Entdeckung der Raketengrundgleichung, die den prinzipiellen Antriebsbedarf der Raumfahrt aufzeigt, durch Konstantin Ziolkowski festlegen. Weitere wesentliche Grundlagen der Raumflugmechanik trugen Walter Hohmann und Hermann Oberth zusammen. Keplersche Gesetze 1. Kepler-Gesetz Die Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. 2. Kepler-Gesetz Ein von der Sonne zum Planeten gezogener „Fahrstrahl“ überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. 3. Kepler-Gesetz Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen (Kuben) der großen Bahnhalbachsen.
92.866786
Q842433
3877
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Kepler beschrieb in dieser ursprünglichen Fassung die Gesetze für die ihm bekannten Planeten, sie gelten aber universell und sind nicht auf Ellipsenbahnen beschränkt. Vielmehr lässt sich aus den Bewegungsgleichungen des idealisierten Zweikörpersystems in der Potentialtheorie (s. u.) herleiten, dass sich Körper um die Zentralmasse auf Kegelschnittbahnen wie folgt bewegen: bei geringer Energie ist die Umlaufbahn elliptisch (mit dem Kreis als Spezialfall); ein Körper mit Fluchtgeschwindigkeit entfernt sich auf einer parabolischen Bahn und kommt im Unendlichen zur Ruhe; ein Körper mit noch höherer Energie entfernt sich auf einer hyperbolischen Bahn und hat im Unendlichen eine Restgeschwindigkeit, die hyperbolische Exzess- oder Überschussgeschwindigkeit. Dabei ist es wichtig, auf das Bezugssystem zu achten (Erde, Sonne oder Planet); wechselt man das Bezugssystem, so müssen Geschwindigkeit und Bewegungsenergie umgerechnet werden, da sich die Systeme relativ zueinander bewegen. Aus den o. g. Bewegungsgleichungen lassen sich die für die Raumfahrt wesentlichen Geschwindigkeiten berechnen. Die wichtigsten sind:  7,9 km/s: Geschwindigkeit eines Körpers in einer niedrigen Umlaufbahn um die Erde (erste kosmische Geschwindigkeit) 11,2 km/s: Geschwindigkeit eines Körpers, um das Schwerefeld der Erde zu verlassen (Fluchtgeschwindigkeit oder zweite kosmische Geschwindigkeit) 29,8 km/s: Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne (heliozentrisch, also auf die Sonne bezogen) Gravitationsgesetz Die von Newton 1687 als fundamentale physikalische Kraft erkannte und beschriebene Gravitationswirkung zweier Körper der Massen und erlaubt die Bestimmung der gegenseitigen Anziehungskraft: .
92.866786
Q842433
3878
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
steht hier für die Gravitationskonstante und für den Abstand der beiden Massen bzw. ihrer Schwerpunkte. Dabei ist angenommen, dass größer ist als die Ausdehnung der Massen selbst. Gravitation wirkt immer anziehend; Newton konnte zeigen, dass die Wirkung einer solchen Kraft, die umgekehrt zum Quadrat des Abstandes ist, alle von Kepler beschriebenen Effekte hervorruft. Das Gravitationsgesetz bildet daher, obwohl später entdeckt, die Grundlage für die Keplerschen Gesetze. Das Allgemeine Zweikörperproblem Die allgemeine Fassung obiger beider Gesetze führt auf das Allgemeine Zweikörperproblem, bei dem sich zwei Massen m1 und m2 in einem Inertialsystem bewegen. Man formuliert dabei die durch die Anziehungskraft verursachte Beschleunigung einer jeden Masse Dabei ist die Beschleunigung einer jeden Masse gleich der zweiten Ableitung des Ortsvektors Man erhält Man kann den Schwerpunkt beider Massen und ihren Verbindungsvektor r=r2-r1 einführen und erhält dann aus den beiden Bewegungsgleichungen und daraus Aus dieser Gleichung lassen sich unmittelbar die Erhaltungssätze ableiten. Aus dem Kreuzprodukt mit r erhält man nach Integration Dies entspricht der Erhaltung des Drehimpulses und ist äquivalent zum 2. Keplerschen Gesetz. Multipliziert man hingegen skalar mit , so ergibt sich unter Benutzung der Produktregel der Differenzialrechnung C hat die Dimension einer spezifischen Energie (Energie pro Masse) und beschreibt die zeitlich invariable Energie der relativen Bewegung der beiden Massen. Weiter kann man die Bahnkurve der Bewegung bestimmen (Hamiltonsches Integral), indem man das Kreuzprodukt der Zweikörpergleichung mit dem Drehimpulsvektor h bildet. Man erhält dann die geometrische Beschreibung der Bahn in der Form
92.866786
Q842433
3879
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Dabei beschreibt die sich aus einer Integrationskonstanten ableitende Größe die Form der Bahn. Es ergeben sich für Ellipsen (mit dem Grenzfall einer Kreisbahn im Fall ); für eine Parabel, mithin keine geschlossene Bahn mehr; dies entspricht dem Erreichen der Fluchtgeschwindigkeit; für Hyperbeln zunehmender Energie. Diese Beschreibung ist rein geometrisch und liefert noch keine Berechnung des zeitlichen Bahnverlaufs. Für diesen benötigt man die Kepler-Gleichung (s. u.) Typische Probleme der Raumflugmechanik Kennzeichnend für die nachfolgend aufgestellten Probleme ist, ein vorgegebenes Missionsziel mit einem Minimum an Energie zu erreichen. Abseits dieses Energieminimums würde man ein unrealistisch großes Startgerät benötigen oder aber nur eine unsinnig kleine Nutzlast mitführen können. Zumeist muss man dabei eine Verlängerung der Reisezeit oder auch weitere Voraussetzungen (Stellung anderer Planeten im Falle eines Swing-bys usw.) akzeptieren. In jedem Fall benötigt man einen auch im Vakuum funktionierenden Antrieb, um die benötigten Geschwindigkeiten zu erreichen. An die praktische Realisierung konnte man daher erst nach der Entwicklung entsprechender Raketen denken. Erreichen einer Umlaufbahn
92.866786
Q842433
3880
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Das Erreichen einer Umlaufbahn erfordert, den Satelliten auf die Orbitalgeschwindigkeit zu beschleunigen, die im Falle der Erde auf einer niedrigen Bahn 7,9 km/s beträgt. Zusätzlich ist erforderlich, den Satelliten auf einer geeigneten Flugbahn aus der Atmosphäre in eine Höhe von mindestens etwa 200 km zu bringen. Dies erfordert ein entsprechendes Steuerungssystem und gelang erst 1957 mit Sputnik. Die Erdrotation lässt sich bei geeigneter Wahl des Startplatzes – möglichst äquatornah – und Abflug nach Osten ausnutzen und verringert dann den Antriebsbedarf leicht, im Idealfall um etwa 400 m/s. In der Praxis muss man daneben Verluste wie das Durchdringen der Atmosphäre (Luftreibung), Hubarbeit gegen das Gravitationsfeld, Umlenkung und Energieaufwand für Korrekturmanöver berücksichtigen und daher einen Geschwindigkeitsbedarf von etwa 9 km/s ansetzen. Der Energiebedarf ist für höhere Umlaufbahnen entsprechend höher und kann den Energieaufwand für die Fluchtgeschwindigkeit übersteigen. Körper auf höheren Bahnen laufen langsamer um als solche auf niedrigeren; daher gibt es eine ausgezeichnete Bahnhöhe, bei der die Umlaufgeschwindigkeit des Satelliten genau der Rotationsgeschwindigkeit der Erde entspricht. Satelliten in dieser Bahn scheinen von der Erdoberfläche aus gesehen stillzustehen, man bezeichnet sie daher als geostationär, was insbesondere für die Kommunikation und Wetterbeobachtung von hohem Interesse ist.
92.866786
Q842433
3881
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Die Wahl der Umlaufbahn hängt entscheidend vom Zweck des Satelliten ab. Für Erdbeobachtung sind i. d. R. Bahnen mit hoher Bahnneigung (Inklination) oder polare Bahnen von Interesse, um die beobachtbaren Gebiete nicht auf ein Band um den Äquator zu beschränken. Für die Telekommunikation sowie die Wetterbeobachtung eignet sich die geostationäre Bahn. Im Falle der Kommunikation mit Orten hoher geographischer Breite wählt man mit Vorteil (stark elliptische) Molnija-Orbits. Navigationssysteme verwenden mittelhohe Bahnen als Kompromiss zwischen niedrigen Orbits (extrem viele Satelliten für die vollständige Abdeckung erforderlich) und geostationären Orbits (schlechte Genauigkeit und örtliche Konflikte mit anderen Systemen). Störende Effekte Aufgrund der abgeplatteten und unregelmäßigen Form der Erde und weiterer Inhomogenitäten des Gravitationsfeldes (Geoid), ihrer Atmosphäre wie auch durch andere Körper (insbesondere Sonne und Mond) erfahren Satelliten im Erdorbit Bahnstörungen, die i. A. kompensiert werden müssen, umgekehrt aber auch für spezielle Bahnen, insbesondere sonnensynchrone Satelliten, gezielt genutzt werden können. Sinngemäß das Gleiche gilt für Satelliten um andere Himmelskörper und auch für Raumflugkörper allgemein. Im Falle der Erde sind die wichtigsten Störungen die durch die Abplattung der Erde verursachte Präzession der Bahnebene, die von Bahnhöhe und -neigung abhängt; die durch die Atmosphäre der Erde verursachte Abbremsung, die stark von der Bahnhöhe und von der „Dichte“ des Satelliten abhängt. Diese Störung ist nichtkonservativ, d. h. der Satellit verliert Energie an die Erde. Satelliten in niedrigen Orbits haben daher eine beschränkte Lebensdauer.
92.866786
Q842433
3882
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Rendezvous Als Rendezvous bezeichnet man ein Manöver, einen schon auf einer bekannten Bahn befindlichen anderen Satelliten zu erreichen, um mit ihm zu koppeln oder ähnliche Operationen durchzuführen. Im weiteren Sinn kann man auch Flüge zu anderen Himmelskörpern in diese Kategorie fassen, da sich die gleichen Probleme stellen. Die Bahnen müssen für dieses Manöver übereinstimmen, was i. d. R. nur durch mehrere Korrekturen erreicht wird; zusätzlich ist ein genaues Timing erforderlich, um den Zielkörper nicht zu verfehlen. Als Startfenster bezeichnet man in diesem Zusammenhang den Zeitraum, in dem ein Start zu einem solchen Manöver erfolgen muss. Transferorbits Ein Transferorbit dient zum Wechsel von einer Umlaufbahn in eine andere. Dies erfolgt durch Änderung der Geschwindigkeit, entweder impulsartig (im Falle konventioneller chemischer Antriebe) oder über einen längerer Zeitraum (mit elektrischen Triebwerken.) Dabei sind die folgenden Manöver von praktischem Nutzen: ein Beschleunigungs- oder Bremsmanöver am Perizentrum (dem dem Zentralkörper nächsten Punkt der Bahn) erhöht oder verringert das Apozentrum auf der gegenüberliegenden Seite und umgekehrt. Dabei lassen sich mit verhältnismäßig kleinen Geschwindigkeitsänderungen erhebliche Änderungen der Bahnhöhe erzielen; die Hohmannbahn ist eine Anwendung dieses Manövers; ein Beschleunigungsmanöver in einem Winkel zur Bahn in der Knotenlinie (der gedachten Schnittlinie von alter und neuer Bahnebene) verändert die Bahnneigung (Inklination.) Dieses Manöver ist sehr energieintensiv, da der gesamte Geschwindigkeitsvektor geändert werden muss, und wird daher in der Praxis nur für sehr kleine Inklinationsänderungen (und dann bei möglichst geringer Geschwindigkeit) durchgeführt. Fluchtgeschwindigkeit Die Fluchtgeschwindigkeit ergibt sich aus der Energieerhaltung, indem man potenzielle Energie und Bewegungsenergie gleichsetzt. Für die Erde erhält man den genannten Wert von 11,2 km/s. Damit ist aber noch keine Aussage über andere Körper getroffen. Insbesondere ist diese Geschwindigkeit, aufgrund der Anziehungskraft der Sonne selbst, nicht ausreichend um das Sonnensystem zu verlassen.
92.866786
Q842433
3883
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Translunarkurs Für einen Flug zum Mond ist weniger als die Fluchtgeschwindigkeit erforderlich, da sich der Mond relativ nah an der Erde befindet und eine nicht zu vernachlässigende eigene Gravitationswirkung ausübt. Daher ist eine Geschwindigkeit von etwa 10,8…10,9 km/s (abhängig von der Position des Mondes) ausreichend, man erhält dann eine Transferbahn in Form einer 8, wie im Apollo-Programm durchgeführt. Der Geschwindigkeitsvektor muss sehr genau ausgerichtet sein, um den sich bewegenden Mond nicht zu verfehlen; in der Praxis arbeitet man mit mehreren Korrekturmanövern während des fast drei Tage dauernden Transfers. Flug zu inneren Planeten Bei einem Flug zu den inneren Planeten Venus und Merkur muss Antriebsleistung gegen die Orbitalgeschwindigkeit des Satelliten um die Sonne, die dieser von der Erde übernimmt, aufgebracht werden. Für solche Flüge wird die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde daher so gerichtet, dass sie der Kreisbahnbewegung entgegenwirkt. Der Energieaufwand ist dennoch erheblich und erlaubt nur kleine Raumsonden in das Innere des Sonnensystems zu bringen. Die Anforderungen an die Steuerung und Navigation sind nochmals erheblich höher als die für einen Mondflug. Ein Energieminimum wird nur einmal pro synodischer Periode erreicht. Flug zu äußeren Planeten Will man die äußeren Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus oder Neptun erreichen, wird die Sonde nach dem Verlassen der Erde gegen das Schwerefeld der Sonne weiter beschleunigt. Für diese zweite Beschleunigung profitiert man von der Bewegung der Erde um die Sonne, vorausgesetzt wiederum, die Geschwindigkeitsvektoren sind korrekt ausgerichtet. Wie beim Flug in das innere Sonnensystem ist auch hier der Geschwindigkeitsbedarf groß, weshalb die Sonden meistens leicht sind, ansonsten sind Swing-bys zur weiteren Beschleunigung der Sonden erforderlich. Aufgrund der großen Distanzen ins äußere Sonnensystem können diese Flüge viele Jahre dauern.
92.866786
Q842433
3884
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Flüge auf Bahnen mit konstantem Schub Elektrische Triebwerke (z. B. der Ionenantrieb) wie auch der mögliche Antrieb eines Raumfahrzeugs durch Sonnensegel ermöglichen, einen wenn auch kleinen Schub über sehr lange Zeit aufrechtzuerhalten, und stellen daher für langdauernde Missionen eine Alternative zu konventionellen chemischen Antrieben dar. Dabei muss die Lage des Raumfahrzeugs permanent so kontrolliert werden, dass der Schub in die gewünschte Richtung geht. Rechnerisch sind diese Flugbahnen, die sich spiralförmig in vielen Windungen nach innen oder außen verlagern, nicht mehr einfach zu erfassen, da die Bahnenergie nicht konstant bleibt. Vorbeiflugmanöver (Gravity Assist, Swing-by) Ein Vorbeiflugmanöver an einer sich im Bezugssystem bewegenden Masse führt zum Energieaustausch zwischen den beiden Körpern und erlaubt daher, einen Satelliten zu beschleunigen (bei einer Passage „hinter“ dem Körper) oder abzubremsen. Damit verbunden ist eine Umlenkung der Flugbahn, deren Größe mit dem Grad der Abbremsung bzw. Beschleunigung zusammenhängt. Für diese Manöver sind die großen Planeten Jupiter und Saturn sowie die sich schnell bewegende Venus, wie auch die Erde selbst interessant. Der Vorbeiflug erfolgt auf einer planetozentrisch hyperbolischen Bahn, der Energiegewinn im heliozentrischen System erfolgt durch die unterschiedliche Rücktransformation der Geschwindigkeit auf dem abfliegenden Ast. Solche Manöver lassen sich für Flüge ins innere wie auch äußere Sonnensystem nutzen, u. U. auch mit mehreren Vorbeiflügen an einem oder mehreren Planeten; das Verlassen der Ekliptikebene, wie bei der Sonnensonde Ulysses, ist ebenfalls möglich. Nachteilig ist die Verlängerung der Flugzeit, die erhöhten Anforderungen an Steuerung und Navigation wie auch die Notwendigkeit, auf die Position eines weiteren Körpers achten zu müssen, was i. d. R. zu deutlichen Einschränkungen des Startfensters führt.
92.866786
Q842433
3885
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Anwendungen Die eigentliche Anwendung ist die Missionsplanung, die zur Aufgabe hat, für ein vorgegebenes Ziel – zum Beispiel einen Planeten von wissenschaftlichem Interesse – eine geeignete Mission, d. h. insbesondere eine geeignete Flugbahn zu finden. Dafür sind umfangreiche numerische Simulationen erforderlich. In den Anfängen beschränkten sich diese Simulationen darauf, eine im Wesentlichen vorgegebene Flugbahn (in der Regel einen Hohmann-ähnlichen Übergang) zu optimieren und geeignete Abflugdaten zu finden. Die Energiereserve des Trägersystems bestimmt in solchen Fällen die Länge des Startfensters. Aus dieser Zeit stammen die Höhenkurven ähnlichen Plots der benötigten Energie als Funktion von Abreise- und Ankunftsdatum. Seither wurden die numerischen Möglichkeiten erheblich erweitert und erlauben auch, die für hohe Anforderungen – wie den Besuch eines Kometen – erforderlichen phantasiereichen Bahnen zu bestimmen. Mathematische Methoden Vis-Viva-Gleichung Die aus der Energieerhaltung folgende Vis-Viva-Gleichung (lateinisch für „lebendige Kraft“) setzt für eine stabile Zweikörperbahn die Geschwindigkeit in Beziehung zum momentanen Bahnradius und der charakteristischen Größe der Bahn, der großen Halbachse des Kegelschnittumlaufs . Sie lautet: . Dabei ist für einen Kreis, für eine Ellipse, für eine Parabel und für eine Hyperbel. ist der Standardgravitationsparameter, wobei wieder die Gravitationskonstante und die Masse des Zentralkörpers ist: Keplersche Gleichung Die nach ihrem Entdecker Johannes Kepler benannte Gleichung setzt die mittlere Anomalie , die exzentrische Anomalie und die Exzentrizität einer elliptischen Bahn wie folgt in Beziehung:
92.866786
Q842433
3886
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Mit dieser kann die Position eines auf einer bekannten Bahn befindlichen Körpers in Abhängigkeit von der Zeit berechnet werden. Dies erfordert allerdings iterative oder numerische Verfahren, da die Gleichung transzendent in ist. Für fast kreisförmige ( nahe 0) wie auch hochelliptische ( nahe 1) Bahnen können sich numerische Schwierigkeiten ergeben, wenn die beiden rechten Terme von sehr unterschiedlicher Größenordnung bzw. fast gleich werden. Einflusssphären 'Patched Conics' Das Konzept der Einflusssphären geht davon aus, dass die Bahn eines Himmelskörpers zu einem gegebenen Zeitpunkt im Wesentlichen nur von einem anderen Körper beeinflusst wird; Störungen durch andere Körper werden vernachlässigt. Nähert man sich einem anderen Körper, gibt es einen Punkt des virtuellen Gleichgewichts, an dem die beiden dynamischen Anziehungskräfte (d. h. die Störung und die Beschleunigung der ungestörten Zweikörperbahn) gleich groß sind. Für den im Sonnensystem häufigen Fall, dass die Masse des schwereren Körpers (z. B. der Sonne, Index S) erheblich größer ist als die des anderen (hier des Zielplaneten, Index P), ergibt sich dieser Punkt zu wobei für die fragliche Annäherungsdistanz und für die Distanz zwischen Planet und Sonne steht. In diesem Punkt ändert man die Betrachtungsweise (z. B. von einer Erd- auf eine Sonnenumlaufbahn) und führt eine Transformation durch, so dass die Bahnen stetig ineinander übergehen (daher die Bezeichnung aneinandergefügte Kegelschnitte). Dieses Konzept ist sehr einfach und lässt sich in einigen Fällen sogar von Hand durchführen, nimmt dafür aber einen u. U. erheblichen Korrekturbedarf in Kauf. Siehe auch Rendezvous Swing-by Hohmannbahn Hillsche Gleichungen Geostationäre Transferbahn
92.866786
Q842433
3887
294
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflugmechanik
Raumflugmechanik
Literatur W. Steiner, M. Schagerl: Raumflugmechanik. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-20761-0. E. Messerschmidt, S. Fasoulas: Raumfahrtsysteme. Springer, Berlin 2010, ISBN 978-3-642-12816-5. W. Ley, K. Wittmann, W. Hallmann (Hrsg.): Handbuch der Raumfahrttechnik. Hanser, 2011, ISBN 978-3-446-42406-7. Pini Gurfil: Modern Astrodynamics. Butterworth-Heinemann, Oxford 2006, ISBN 978-0-12-373562-1. Himmelsmechanik Physikalisches Fachgebiet
92.866786
Q842433
3888
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Neonazismus (altgriechisch néos ‚neu‘, ‚jung‘ und Nazismus) steht im engeren Sinne für die Wiederaufnahme und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der NS-Diktatur. Auch in anderen Ländern, namentlich in den USA wurden nach 1945 nationalsozialistische Ideen aufgegriffen und das NS-Regime verherrlicht. Vertreter des Neonazismus werden Neonazis genannt; der Begriff steht im Gegensatz zu „Altnazis“ (auch Alt-PG, „Parteigenosse“), also den Trägern der nationalsozialistischen Ideologie, die diese bereits während der nationalsozialistischen Herrschaft vertreten hatten, den umgangssprachlich „Ewiggestrigen“. Geschichte Deutschland Bis in die 1970er Jahre war die in Parteien wie der SRP oder der NPD organisierte rechtsextreme Szene in der Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen von sogenannten Altnazis bestimmt, die schon während der Zeit des Nationalsozialismus Anhänger desselben gewesen waren. Seit Ende der 1970er Jahre wird das Bild dieser Szene jedoch überwiegend von Nachgeborenen bestimmt, die keine eigenen Erfahrungen mehr mit der NS-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg gemacht, sondern sich die Ansichten der Altnazis meist kritiklos angeeignet haben. Sie unterscheiden sich von diesen in der Regel auch durch eine erheblich höhere Gewaltbereitschaft.
123.592659
Q151250
3889
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Die Neonazis (in ihren Grundüberzeugungen sind sie den Altnazis gleichzusetzen) zeichnen sich im Allgemeinen durch ihre extreme Fremdenfeindlichkeit aus. Juden und Ausländer – insbesondere Asylbewerber und türkischstämmige Einwanderer, aber auch Deutsche mit Migrationshintergrund – dienen neben politisch Linken aller Art als Feindbild. Die Neonazis beabsichtigen gemäß der Ideologie des völkischen Nationalismus die Schaffung eines ethnisch homogenen Nationalstaats, in dem weder die deutschen Juden, noch von Ausländern abstammende oder eingebürgerte Deutsche Platz hätten. Die Ablehnung von Minderheiten wird sozialdarwinistisch begründet und drückt sich im Hass auf gesellschaftliche Randgruppen wie Behinderte, Homosexuelle und sozial Schwache – z. B. Obdachlose – aus. Ein großer Teil der Neonazis leugnet oder relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus, speziell den Holocaust. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registrierte Ende 2017 mit rund 6000 Neonazis ca. 1000 mehr als noch im Jahr 2009. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten wurde auf 12700 (Zunahme gegenüber Vorjahr: 5 %) geschätzt. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt im Januar 2021 zu dem Ergebnis, dass knapp acht Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland manifest rechtsextreme Einstellungen vertreten. Bei populistisch eingestellten Wählern ist der Anteil jedoch mehr als doppelt so hoch und bei den Anhängern der AfD sogar fast viermal so hoch. Mehr als die Hälfte der AfD-Wählerschaft ist latent oder manifest rechtsextrem eingestellt. Viele Neonazis vertreten ihre Ansichten aktiv und gewalttätig. Seit Anfang der 1990er-Jahre kommt es in Deutschland vermehrt zu Anschlägen auf Asylbewerberwohnheime und Politiker, zu Übergriffen auf Ausländer und zu Demonstrationen, bei denen gewaltsame Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten und der Polizei zur Tagesordnung gehören.
123.592659
Q151250
3890
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Zwischen 2000 und 2007 verübte die neonazistische Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund neun Morde an Migranten, den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und mehrere Bombenanschläge, darunter den Nagelbombenanschlag in Köln. Nationalrevolutionäre Strömung Neben den Neonazis formieren sich zusehends „nationalrevolutionäre“ Kräfte im Umfeld des rechtsextremen Spektrums. Diese fallen durch eine stärkere theoretische Ausrichtung auf und orientieren sich teilweise an den Vorbildern Ernst Niekisch und Karl Otto Paetel und insgesamt an einem „Sozialrevolutionären Nationalismus“. Bekannt wurden diese Gruppierungen und Zirkel durch Zeitschriften wie „Junges Forum“ (etwa Anfang der 1970er-Jahre) und „Wir selbst“. Aus diesen Zirkeln gingen Gruppen wie die „Nationalrevolutionäre Koordination“ hervor. Man ist insgesamt bemüht, sich offiziell vom „Dritten Reich“ abzugrenzen, und formuliert eigene Theorien. Im Mittelpunkt stehen hierbei der Ethnopluralismus und ein Antikapitalismus mit teilweise stark antimodernen Ideologiemomenten. Laut Verfassungsschutzberichten verzeichnen derartige Projekte zurzeit einen starken Zulauf, stellen aber immer noch eine verschwindende Minderheit innerhalb der rechtsextremen Szene dar. Zu den wichtigsten Publikationen zählt unter anderem der „Fahnenträger“, eine nach ihrem Selbstverständnis sozialrevolutionäre und nationalistische Zeitschrift. Hinzu zählt man auch die Internetseiten „Die Kommenden“ und „Dritte Front“. Diese seien angeblich Vorreiter einer sich neu abzeichnenden „Nationalrevolutionären Bewegung“. Frauen im Rechtsextremismus
123.592659
Q151250
3891
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Traditionell vertreten Neonazismus und Rechtsextremisten ein sehr chauvinistisches und sexistisches Geschlechterrollenbild: Während die Frau für die Kindererziehung und das Haus zuständig ist, ist der Mann der Ernährer der Familie und derjenige, der für die Existenz kämpft. Dieses Bild modernisierte sich in den letzten 20 Jahren und Frauen kommt inzwischen eine strategische Schlüsselrolle innerhalb der rechten bzw. neonazistischen Szene zu. Einerseits unterwandern sie gezielt die demokratische Alltagskultur, vor allem in sozialen Berufen, wie dem Kindergarten oder als hilfsbereite Elternvertreterinnen und Kommunalpolitikerinnen, um unauffällig gesellschaftliche Akzeptanz zu bekommen. Andererseits werden sie, trotz ihrer ideologischen Festigung und aktionistischen Ausrichtung, noch immer als Anhängsel ihrer männlichen Pendants angesehen, was ihrer Rolle und ihrer Einstellung nicht gerecht wird. USA In den USA gibt es eine weitverzweigte Szene von Neonazis im Rahmen der White-Supremacy-Bewegung. 1959 gründete George Lincoln Rockwell (1918–1967) die World Union of Free Enterprise National Socialists, die kurz darauf in American Nazi Party (ANP) umbenannt wurde. Sie vertritt rassistische, antisemitische und antikommunistische Positionen. 1983 wurde die Partei in New Order umbenannt. Die ANP verbreitete die Verschwörungstheorie, jüdische Kommunisten würden Afroamerikaner dazu verlocken, weiße Frauen zu vergewaltigen und Rassenunruhen zu beginnen. Mitglieder der Partei griffen in den 1960er Jahren Demonstranten an, die gegen den Vietnam-Krieg protestierten, und agitierten gegen die Bürgerrechtsbewegung. Bei Aktionen gegen die Wohnungsbau-Kampagne Martin Luther Kings 1966 prägten sie den das Schlagwort „White Power“. Zu den Mitgliedern der ANP gehörte auch David Duke (* 1950), der Anführer einer Organisation des Ku-Klux-Klans. Das FBI bekämpfte diese Partei erfolgreich mit COINTELPRO-Methoden.
123.592659
Q151250
3892
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Nach dem Tod des Gründers 1967 radikalisierte sich die ANP weiter und rief zu einer Revolution auf. In ihrem Umkreis entstand in den 1970er Jahren die militante National Socialist Liberation Front, in der die bekannten Rechtsextremisten James Mason (* 1952) und William Luther Pierce (1933–2002) aktiv waren. Mason gilt als Vordenker der rechtsterroristischen Atomwaffen Division. Pierce veröffentlichte 1978 den Roman The Turner Diaries, der einen blutigen Bürgerkrieg in den USA schildert. Das Buch war Inspiration für die Rechtsterroristen Timothy McVeigh und The Order, eine neonazistische Gruppierung, die die Bundesregierung der Vereinigten Staaten als „Zionist Occupied Government“, das heißt eine von Juden kontrollierte Marionettenregierung, delegitimiert. 1972 gründete der deutschstämmige Teenager Gary Lauck (* 1953) in Lincoln (Nebraska) die NSDAP-Aufbauorganisation, mit der er die Neugründung einer nationalsozialistischen Partei in Deutschland vorbereiten will. Lauck verbreitet in Printmedien und im Internet neonazistische Propaganda und Holocaustleugnung und vertreibt per Versandhandel NS-Devotionalien. Im amerikanischen Recht wird der Meinungsfreiheit, die im 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten festgeschrieben ist, ein hoher Stellenwert beigemessen, was Neonazis vergleichsweise weiten Spielraum verschafft. Ein Beispiel dafür ist der Erfolg der National Socialist Party of America, einer Abspaltung der ANP, vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1977: Der Partei war von den Behörden des Staates Illinois verboten worden, einen Marsch durch die Kleinstadt Skokie zu veranstalten, wo zahlreiche Holocaustüberlebende wohnten. Dagegen klagte sie mit Unterstützung der American Civil Liberties Union und bekam schließlich recht.
123.592659
Q151250
3893
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Die meisten amerikanischen Neonazis sind indes nicht in einer Partei organisiert, sondern nach dem Prinzip des führerlosen Widerstands. Dies wurde von Louis Beam (* 1946) entwickelt, der sich im Umfeld des Ku-Klux-Klans bewegt. Zum führerlosen Widerstand rechnen militante Neonazi-Gruppierungen wie White Aryan Resistance, die Hammerskins oder die Aryan Nations, die der Christian-Identity-Bewegung nahestehen. Beam war der erste amerikanische Neonazi, der elektronische Medien zur Verbreitung seiner Hasspropaganda nutzte. Nachdem neonazistische Hassgruppen seit der Ära Reagan an Publizität verloren hatten, änderte sich das mit der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2008, die erstmals einen Afroamerikaner zum Präsidenten machte. Neonazis wurden nun Teil einer rechten Sammlungsbewegung, die von den Republikanern bis nach Rechtsaußen reicht. Sie wird zusammengehalten durch populistische Ablehnung der so genannten Eliten, Abstiegsängste und Verschwörungstheorien wie die der Birther, die nicht glauben, dass Barack Obama ein Natural born citizen ist, und deshalb die Rechtmäßigkeit seiner Wahl bestreiten. Das Internet begünstigt diese Entwicklung, wo die so genannte Alt-Right sich in Websites wie Stormfront, Netzwerken wie Gab, diversen Reddits und Sub-Reddits austauscht.
123.592659
Q151250
3894
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Die ganze Breite dieser Koalition zeigten die Demonstrationen in Charlottesville 2017, bei denen eine Gegendemonstrantin über den Haufen gefahren und getötet wurde. Präsident Donald Trump bescheinigte den Teilnehmern dennoch, es seien „some very fine people“ unter ihnen gewesen. Laut Andrew Anglin, dem Redakteur der rechtsextremen Website The Daily Stormer, engagierten sich viele Neonazis im Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen 2020 für Trump. Am Sturm auf das Kapitol in Washington 2021, bei dem rechte und rechtsextreme Gruppen versuchten, die förmliche Bestätigung des Sieges von Joe Biden durch den Kongress zu verhindern, nahmen auch Neonazis teil. In weiteren Staaten In fast allen europäischen Ländern gibt es Gruppierungen, die dem Neo-Nationalsozialismus zuzuordnen sind. Die fremdenfeindlichen, antisemitischen und sozialdarwinistischen Ansichten dieser Neonazis entsprechen in jeweils abgewandelter Form denen der deutschen Gruppierungen. So sind US-amerikanische Neonazis in der Regel durch Hass auf Schwarze, Latinos, Asiaten und Juden gekennzeichnet und vertreten die Ansicht, die „weiße Rasse“ der „Arier“ müsse „rein“ erhalten werden. Kultur Erkennungsmerkmale und Zeichen
123.592659
Q151250
3895
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Neonazis ließen sich zwischen 1980 und 1993 immer häufiger an ihrem Erscheinungsbild erkennen. Dieses bestand aus dem Tragen von Bomberjacken (olivgrün oder schwarz), vor allem Jeans oder Flecktarnhosen und so genannten Springerstiefeln oder ähnlich aussehenden Stahlkappenschuhen mit weißen Schnürsenkeln. Zudem rasierten sie sich den Kopf, was ihnen die Bezeichnung Skinhead einbrachte, obgleich es sich bei den Skinheads eigentlich um eine ältere, nicht rechtsextreme Bewegung aus Großbritannien handelt. Diese Erkennungsmerkmale kommen fast alle aus der Skinhead-Subkultur und hatten ursprünglich keine politische Bedeutung. Weiße Schnürsenkel etwa standen für die Vereinigung von weißen und schwarzen Jugendlichen in England oder wurden einfach nur der Optik wegen verwendet, ganz ohne rassistische Botschaft. Seit den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 hat sich in der deutschen Bevölkerung die Toleranz gegenüber Rechtsradikalen erheblich verringert, so dass viele Neonazis dazu übergingen, sich nicht mehr deutlich sichtbar als solche zu erkennen zu geben. Sie ließen ihre Haare wieder wachsen und verzichteten auf ihre Bomberjacken- und Springerstiefel-Aufmachung. Stattdessen wechselten sie zu versteckten Erkennungsmerkmalen, die Szenefremden oft unbekannt sind. So verweisen Zahlen auf Buchstaben im Alphabet. Die „88“ steht z. B. für „HH“ und ist die kryptische Abkürzung für „Heil Hitler“. Die Zahl „18“ steht für „AH“ – „Adolf Hitler“. Zudem gibt es Hersteller von Markenbekleidung, wie z. B. Consdaple und Thor Steinar, deren Produkte bevorzugt von der Neonazi-Szene getragen werden.
123.592659
Q151250
3896
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Es gibt auch in einigen anderen Jugendkulturen viele Neonazis, so zum Beispiel „National Socialist Black Metal“ (NSBM), deren Anhänger äußerlich meist kaum von anderen Anhängern von Black Metal zu unterscheiden sind (schwarze Kleidung, lange Haare, heidnische Symbole) und sich meist sehr stark über das Heidentum definieren. Auch in der Gabberszene gab es in den letzten Jahren immer mehr Neonazis. Die politischen Drahtzieher pflegen oft einen anderen Kleidungsstil. Sie unterscheiden sich kaum von in gewöhnlichem Habit erscheinenden Personen (Bsp. Christian Worch, Siegfried Borchardt). Ferner gibt es Aktivisten wie Axel Reitz (mittlerweile ausgestiegen) oder Philipp Hasselbach, die in SA-ähnlichen Uniformen oder langen, schwarzen „Gestapo-Ledermänteln“ auftreten. Seit etwa dem Jahr 2000 übernehmen Neonazis zunehmend ursprünglich linke oder linksradikale Symbolik und Outfits wie die der Autonomen-Bewegung und des „Schwarzen Blocks“ (Autonome Nationalisten). Sie kleiden sich teilweise ganz in Schwarz mit Kapuzenpulli, Basecap etc. Immer häufiger tragen deutsche Neonazis eine Kufiya („Palituch“) als Bekenntnis gegen Israel und Juden allgemein (siehe z. B. die Kader der Freien Kameradschaften wie Thomas Gerlach). Rechtsrock
123.592659
Q151250
3897
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Der erste Kontakt zur Szene geschieht meist über die Musik der Neonazis. Diese kann teils sehr balladenhaft sein (Frank Rennicke), meist wirkt sie jedoch aggressiv. Ursprünglich kommt der Rechtsrock (auch RAC genannt) aus England (Skrewdriver, No Remorse, Skullhead), seit den 1980er-Jahren steigt die Zahl der Neonazi-Bands auch in Deutschland stetig an. Seit Mitte/Ende der 1990er-Jahre erkennt die Szene das Rekrutierungspotential, das in der Musik liegt. Bekannte Bands nennen sich Sturmwehr, Störkraft, Kraftschlag, Landser, Zillertaler Türkenjäger, Endstufe, Stahlgewitter, Oidoxie oder Noie Werte. Es gibt jährlich Hunderte illegaler Konzerte. Per Mobiltelefon geben die Veranstalter die Orte der Konzerte erst in letzter Minute an die Besucher weiter. Diese stehen untereinander in Kontakt und werden dann dorthin gelotst. Vorab ist nur der ungefähre Standort bekannt, so dass sich alle in unmittelbarer Nähe befinden.
123.592659
Q151250
3898
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Kampfsport An Bedeutung innerhalb der neonazistischen Szene gewinnt der Bereich des Kampfsports, vor allem Mixed Martial Arts sowie Kickboxen. Rechte Kampfsportlabels treten als Sponsoren und Veranstalter von extrem rechten Kampfsportturnieren auf. In der Szene namhafte Events sind beispielsweise das Turnier Kampf der Nibelungen (KdN) (von 2013 bis 2018 jährlich stattfindend) oder das 2018 wie auch 2019 durchgeführte „Tiwaz – Kampf der freien Männer“. Auch bei Musik- und Rednerveranstaltungen wie den beiden „Schild & Schwert“-Festivals 2018 im sächsischen Ostritz (organisiert von dem stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Heise) gab es Kampfsportdarbietungen. Solche Veranstaltungen dienen auch der Vernetzung innerhalb der Szene, der Rekrutierung neuer Kräfte, beispielsweise aus dem Hooligan-Milieu, sowie dem Verkauf indizierter Musik. Das Bundesinnenministerium geht davon aus, dass viele dieser Kampfsport-Besucher als Mobilisierungspotential für rechtsextremistische Demos zur Verfügung stehen; es sei auch zu befürchten, dass die Professionalisierung im Kampfsport ideologisch im Sinne einer Wehrhaftigkeit gegen „das System“ aufgeladen bzw. für Auseinandersetzungen auf der Straße mit dem politischen Gegner genutzt werde. Kampfsportgruppierungen mit politischer Ausrichtung wie die Labels „KdN“, „Wardon“, „Black Legion“ oder das Label „White Rex“ des russischstämmigen Hooligans Denis Nikitin (eigentlicher Name Denis Kapustin) stellen ihre eigenen Kampfsportler als Vorbilder in Sachen „Wille“, „Fleiß“ und „Disziplin“ dar und verstehen sie als Gegensatz zum „faulenden politischen System“ der „Versager“, „Heuchler“ und „Schwächlinge“.
123.592659
Q151250
3899
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Ausstieg aus der Szene Wer der Neonaziszene angehört, sich jedoch nicht mehr mit deren Zielen identifiziert und aussteigen will, steht oft vor erheblichen Problemen. Die meisten Neonazis haben außerhalb der Szene kaum noch soziale Kontakte, hinzu kommen eventuell Vorstrafen. Fehlende berufliche Kenntnisse erschweren oft eine Reintegration in die Mehrheitsgesellschaft. Manche Aussteiger fürchten auch Racheakte der alten Gesinnungsgenossen. Daher gibt es seit einigen Jahren Projekte, die Ausstiegswilligen Unterstützung anbieten, unter anderem die Initiative Exit Deutschland. Bekannte Aussteiger Matthias Adrian Bela Ewald Althans Sebastian Angermüller Stefan Michael Bar Lukas Bals Manuel Bauer Felix Benneckenstein Heidi Benneckenstein Gerd-Roger Bornemann von Neonazis ermordet Kay Diesner Jörg Fischer-Aharon Ingo Hasselbach Christine Hewicker Maximilian Kelm Johannes Kneifel (Konvertit zum Christentum) Ingmar Knop Gabriel Landgraf Torsten Lemmer (Konvertit zum Islam) Andreas Molau Annett Müller Kevin Müller Wolfgang Niederreiter Axel Reitz Stefan Rochow (Konvertit zum Christentum) Philip Schlaffer Achim Schmid Christian Ernst Weißgerber Siehe auch Anti-Antifa Rechtsextremismus im Internet, Rechtsextreme Netzwerke Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland
123.592659
Q151250
3900
295
https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus
Neonazismus
Literatur Michael Schmidt: Heute gehört uns die Straße. Der Inside Report aus der Neonazi-Szene. Econ Verlag. Düsseldorf/Wien/New York 1993, ISBN 3-612-26165-7. Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus. Pahl-Rugenstein, Bonn 1996, ISBN 3-89144-209-2. Patrick Gensing: Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik. Rotbuch-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-86789-163-9. Maik Baumgärtner, Marcus Böttcher: Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe. Das Neue Berlin, Berlin 2012, ISBN 978-3-360-02149-6. Christian Fuchs, John Goetz: Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2012, ISBN 978-3-498-02005-7. Weblinks „Rechtsextreme heute: Neonazis“ (Wikibooks) Bundeszentrale für politische Bildung, bpb.de: Dossier dokumentarfilm24.de: Wahrheit macht Frei Dokumentation über Neonazis in Deutschland kas.de: Neonazis in der DDR marek-peters.com: Fotoalben zu Rechtsextremismus und Neonazis „Netz gegen Nazis“, netz-gegen-nazis.de: Mit Rat und Tat gegen Rechtsextremismus projekt-entgrenzt.de: TRANSEUROPÄISCHE PERSPEKTIVEN AUF DIE EXTREME RECHTE theguardian.com, 31. Oktober 2018, „Anonymous“ (a student and antifascist activist in Saxony, „ein Student und antifaschistischer Aktivist in Sachsen“): I live among the neo-Nazis in eastern Germany. And it’s terrifying (Englisch: „Ich lebe unter den Neonazis in Ostdeutschland. Und es ist furchterregend“) Einzelnachweise Nationalsozialismus
123.592659
Q151250
3901
296
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluginsekten
Fluginsekten
Als Fluginsekten (Pterygota) werden alle Insekten (Insecta) zusammengefasst, welche mit Flügeln ausgestattet sind. Dies schließt die Arten ein, die das Flugvermögen im Laufe der Evolution wieder verloren haben. Beispiele dafür sind die Flöhe oder die Tierläuse. Der bei weitem größte Teil der Insekten gehört zu den Fluginsekten. Ausnahmen sind lediglich die nicht flugfähigen Urinsekten mit den Ordnungen der Felsenspringer (Archaeognatha) und der Fischchen (Zygentoma). Mit der Entwicklung funktionstüchtiger Flügel hängen eine Reihe morphologischer und physiologischer Veränderungen zusammen. Aus diesem Grund kann ohne Zweifel angenommen werden, dass diese Entwicklung nur einmal im Laufe der Insektenevolution stattgefunden hat und alle Fluginsekten auf eine gemeinsame Stammart zurückzuführen sind.
554.458681
Q22708
3902
296
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluginsekten
Fluginsekten
Aufbau und Entwicklung der Flügel Die Flügel stellen eine dünne Chitinplatte dar, welche mit Tracheen durchzogen ist. Zu ihrer Entstehung konkurrieren zwei Theorien miteinander. Entweder haben sie sich aus einer Abflachung der Seitenplatten (Paranota) an allen drei Brustsegmenten (Thorax) entwickelt, oder sie stammen von Auswüchsen der seitlich zwischen den dorsalen Nota und den ventralen Sterna gelegenen Pleuren, unter Einschluss der Beinanlagen, ab. Jüngere Theorien kombinieren beide Hypothesen, demnach stammen verschiedene Teile der Flügel von jeweils der einen oder der anderen Struktur. Argumente dafür liefern Funde von paläozoischen Insektenlarven, die vermutlich gelenkig mit dem Rumpf verbundene und bewegliche Flügelscheiden besaßen. Heute lebende Fluginsekten besitzen allerdings nur noch zwei Paar Flügel, jeweils am zweiten und am dritten Thoraxsegment. Ein drittes Flügelpaar konnte fossil bei den Palaeodictyoptera und den (libellenähnlichen) Geroptera nachgewiesen werden, die auch am ersten Thoraxsegment kleine, möglicherweise nicht voll bewegliche Flügelchen oder flügelähnliche Strukturen aufwiesen. Die Tracheen zur Versorgung der Flügel zweigen von den Beintracheen ab. Da die Flügel als Duplikatur (also Verdopplung) der Körperwand ausgebildet sind, liegen die Tracheen als Adernetz ebenfalls in diesen zwei Schichten. Mit dem Thorax sind die Flügel durch ein komplexes Gelenk verbunden, an dem bei den Libellen auch direkt die Muskeln ansetzen (direkte Flugmuskulatur). Bei der weitaus häufigeren Variante wird der Flügelschlag durch eine Aufwölbung und ein Zurückziehen des Brustsegments erreicht (Indirekte Flugmuskulatur). Ebenfalls notwendig ist die Ausbildung von Muskelansatzstellen in den Brustsegmenten durch Chitinleisten.
554.458681
Q22708
3903
296
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluginsekten
Fluginsekten
Ontogenese der Fluginsekten Alle Fluginsekten sind durch eine Metamorphose gekennzeichnet, da die Larven oder Nymphen nie Flügel besitzen. Diese kann schrittweise mit den Häutungen erfolgen (unvollständige Metamorphose bei den hemimetabolen Insekten) oder durch einen kompletten Umbau des Insekts in einer Puppenruhe (vollständige Metamorphose bei den holometabolen Insekten). Systematik und Taxonomie Die Systematik und Taxonomie ist in der Systematik der Insekten beschrieben. Literatur Bernhard Klausnitzer: Pterygota, Fluginsekten. In: Wilfried Westheide, Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie. Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Gustav Fischer, Stuttgart u. a. 1996, ISBN 3-437-20515-3, S. 627 ff. Weblinks
554.458681
Q22708
3904
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Die Republik Irak (amtlich: , ), kurz (der) Irak oder (international) auch Iraq, ist ein Staat in Vorderasien. Der Irak grenzt an Kuwait, Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien, die Türkei, Iran und den Persischen Golf und umfasst den größten Teil des zwischen Euphrat und Tigris gelegenen „Zweistromlandes“ Mesopotamien, in dem die frühesten Hochkulturen Vorderasiens entstanden sind, sowie Teile der angrenzenden Wüsten- und Bergregionen. Er wird zu den Maschrek-Staaten gezählt. Den Norden des Landes bildet die autonome Region Kurdistan, die ein eigenes Parlament und eigene Streitkräfte (Peschmerga) führt. Mit etwa 43 Millionen Einwohnern (Stand 2023) gehört der Irak zu den fünf größten Ländern der arabischen Welt. Seine Hauptstadt und größte Stadt ist die Metropole Bagdad, weitere Millionenstädte sind auch Basra, Mossul, Erbil, Sulaimaniya, Nadschaf, Kirkuk und Kerbela. Durch die Flüchtlingsbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert vollzog sich im Land eine rasche Urbanisierung. Der Irak steht auf der Weltrangliste der Länder mit den meisten Bodenschätzen auf Platz 4, seine Wirtschaft basiert vor allem auf dem Export von Erdöl und zu geringem Teil auf der Landwirtschaft. Der heutige Irak entstand 1920 aus den drei osmanischen Provinzen Bagdad, Mossul und Basra. Von 1921 bis 1958 bestand das Königreich Irak, 1958 wurde der König durch einen Militärputsch gestürzt und die Republik ausgerufen. Von 1979 bis 2003 wurde das Land von Saddam Hussein diktatorisch regiert, das Land führte Kriege gegen die Nachbarstaaten Iran und Kuwait. Eine multinationale Invasionstruppe („Koalition der Willigen“) unter Führung der Vereinigten Staaten stürzte 2003 das Regime Saddam Husseins, ohne stabile Strukturen für die Nachkriegsära aufzubauen.
3,924.592132
Q796
3905
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Nach dem erklärten Kriegsende kam es während der Besetzung des Iraks 2003–2011 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, tausenden Terroranschlägen, Kriegshandlungen und Gewaltkriminalität, sowohl verschiedener irakischer Gruppen gegeneinander als auch gegen die westlichen Besatzungstruppen. Sie forderten vor allem unter den irakischen Zivilisten eine unbekannte Anzahl an Todesopfern und Verletzten. Ab Dezember 2013 kam es zu einem Krieg zwischen dem Irak und Islamisten des ISIS, die Teile des Staatsgebietes eroberten. Im Dezember 2017 verkündete die irakische Regierung, dass die irakischen Streitkräfte die vollständige Kontrolle über die syrisch-irakische Grenze übernommen hätten und der Krieg gegen den IS beendet sei. Geographie Der Irak gehört zum Orient. Zum Kulturraum des Orients werden gewöhnlich Länder Nordafrikas und Südwestasiens gezählt. Sie liegen überwiegend im Bereich des subtropischen Trockengürtels der „Alten Welt“. Im Nordosten befindet sich eine etwa 3000 m hohe Bergkette aus den Ausläufern des Taurusgebirges und des Zagros’. Diese Kette gehört zum Alpidischen Gebirgssystem, das sich vom Balkangebirge ostwärts in die Türkei, den nördlichen Irak und Iran und dann weiter nach Afghanistan erstreckt. Der höchste Berg im Irak ist der Cheekha Dar mit 3611 m Höhe.
3,924.592132
Q796
3906
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Landesgrenzen Der Irak grenzt an den Iran (1458 km gemeinsame Grenze), Kuwait (240 km), Saudi-Arabien (814 km), Jordanien (181 km), Syrien (605 km) und die Türkei (352 km). Mit Ausnahme der Grenze zum Iran, die bis 1918 die Ostgrenze des Osmanischen Reiches bildete, wurde der Grenzverlauf des Iraks von den Kolonialmächten bestimmt. Die Neutrale Zone zwischen Saudi-Arabien und dem Irak wurde 1975–1983 zwischen beiden Ländern aufgeteilt. Zudem besitzt der Irak einen 58,3 km langen Küstenstreifen. Den Norden des Landes bildet die Autonome Region Kurdistan, die eine De-facto-Grenze innerhalb des Landes errichtet hat. Klima Der Norden des Iraks, bis etwa auf die geographische Breite von Bagdad, liegt im Winter im Bereich der sog. Westwindzone der gemäßigten Breiten und im Sommer unter Hochdruckeinfluss bei Temperaturen zwischen −6 °C im Winter und 51 °C im Hochsommer (Jahresmittel 22 °C). Der Raum südlich Bagdads dagegen gehört ganzjährig zum subtropischen Hochdruckgürtel. Die Sommer sind im gesamten Land niederschlagslos und mit Ausnahme der Gebirgsregionen recht warm bei Durchschnittstemperaturen um 33 bis 34 °C. Mitunter starke, ganzjährige Winde aus nordwestlicher Richtung führen dazu, dass beispielsweise die Städte Bagdad und Basra an ungefähr 20 respektive 15 Tagen im Jahr von Staubstürmen heimgesucht werden. Die Temperaturen schwanken zwischen 50 °C im Sommer und etwa dem Nullpunkt im Januar. Frost ist möglich, insbesondere im Bergland. Regen fällt etwa 10 bis 18 cm im Jahr, Hauptregenmonate sind Dezember bis April. Die an den Golf angrenzenden Gebiete sind etwas feuchter. Flüsse und Seen
3,924.592132
Q796
3907
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Der Irak wird von zwei wichtigen Flüssen durchzogen, dem Euphrat und dem Tigris. Dies schlug sich in der geographischen Bezeichnung Mesopotamien nieder, was übersetzt das „(Land) zwischen den zwei Flüssen“ bedeutet. Euphrat und Tigris kommen von Nordwesten aus Syrien bzw. der Türkei und durchqueren das Land bis in den Südosten. Bei al-Qurna im Süden des Iraks fließen Tigris und Euphrat zusammen. Sie bilden dort den 193 Kilometer langen Schatt al-Arab/Arvandrud, dieser mündet in den Persischen Golf. Euphrat und Tigris waren und sind die Lebensadern des Landes, da sie die Wasserversorgung eines Großteils der irakischen Landwirtschaft und der Bevölkerung sicherstellen. Im Südosten des Landes ragt die Halbinsel Faw zwischen dem Iran und Kuwait in den Persischen Golf und stellt damit den einzigen Zugang des Iraks zum Meer dar. Westlich von Bagdad gibt es drei Senken, in die bei Hochwasser Wasser aus Euphrat und Tigris geleitet werden können: Tharthar-See, al-Habbaniyya-See und Razzaza-See. Die Sumpfgebiete im südlichen Irak, die sog. Ahwar, wurden im Ersten Golfkrieg in den 1980er Jahren systematisch trockengelegt. Mit internationaler Hilfe versucht die irakische Regierung seit 2003, diese Gebiete wieder zu bewässern. Flora und Fauna Da im Irak unterschiedliche Niederschlagsverhältnisse herrschen, gibt es ebenfalls unterschiedliche Vegetationsarten. Im Nordirak gibt es Strauchvegetation und vereinzelte Waldbestände. An den Uferbereichen von Euphrat und Tigris gibt es Dattelpalmen und Schilfgürtel. Der Süden hingegen ist nur spärlich bewachsen. Projekte der Regierung, aus den Wüstengegenden fruchtbare Böden zu machen, wurden in den 1980er Jahren aufgegeben.
3,924.592132
Q796
3908
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Diverse Vogelarten wie Geier, Bussarde, Raben und Eulen sind im Irak beheimatet, ebenso leben Säugetiere wie Karakale, Hyänen, Schakale, Gazellen und Antilopen im Irak. An Tigris, Euphrat und Schatt al-Arab herrscht außerdem ein großer Fischreichtum. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gab es im Irak Löwen und Strauße. Städte Die Hauptstadt Bagdad ist sowohl geographisches als auch politisches und kulturelles Zentrum des Landes und mit 5,7 Millionen Einwohnern die mit Abstand größte städtische Agglomeration. Bagdad (persisch=Gottgegeben-im Sinne von: Gottesgeschenk-) wurde im Jahr 762 von dem abbasidischen Kalifen al-Mansur als neue Hauptstadt des islamischen Reichs gegründet und 1920 zur Hauptstadt des neu gegründeten Staates Irak erklärt. Besonders während des Wirtschaftsbooms der 1970er Jahre wurde die Stadt ausgebaut. Im Ersten Golfkrieg war die Stadt kaum betroffen, im zweiten und Dritten Golfkrieg wurde Bagdad allerdings mehrmals Ziel von Luftangriffen. In Bagdad befinden sich 3 der 6 Universitäten des Landes und der größte internationale Flughafen des Iraks. Das im Norden gelegene Mossul steht mit etwa 2,9 Millionen Einwohnern an zweiter Stelle. Es ist Zentrum der ostchristlichen und assyrischen Kultur im Irak. Mossul war seit dem 8. Jahrhundert ein wichtiges Wirtschaftszentrum, die gesamte Provinz Nineve wurde erst 1926 völkerrechtlich an den Irak angegliedert.
3,924.592132
Q796
3909
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Die Hafenstadt Basra am persischen Golf ist mit ihren rund 2 Mio. Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes und Zentrum des schiitischen Südens. Basra wurde 636 von Kalif Umar ibn al-Chattab als arabischer Militärstützpunkt und Handelsplatz gegründet und im 16. Jahrhundert von den Osmanen erobert. 1914 marschierten britische Truppen in die Stadt ein. Während des Ersten Golfkrieges wurde die Stadt aufgrund ihrer exponierten Lage und wirtschaftlichen Bedeutung stark in Mitleidenschaft gezogen. Basra besitzt den größten Umschlaghafen des Landes, über den große Teile des geförderten Erdöls exportiert werden, sowie die 1964 gegründete Universität und einen internationalen Flughafen. Erbil (kurdisch: Hewlêr) ist die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan und mit geschätzten 7000 Jahren eine der ältesten noch besiedelten Städte der Welt. Sie ist mit etwa 1,8 Millionen Einwohner die größte Stadt der Kurden im Nordirak und die viertgrößte Stadt des Landes. Die Stadt wurde in den ersten beiden Golfkriegen nur leicht beschädigt. Erbil besitzt einen internationalen Flughafen. Sulaimaniya (kurdisch: Silêmanî) mit 1,6 Millionen Einwohnern fünftgrößte Stadt des Landes. Die Stadt besitzt einen internationalen Flughafen, eine Universität und gilt als Kultur- und Bildungszentrum Kurdistans. Bevölkerung Irak hatte 2020 40,2 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug + 2,3 %. Zum Bevölkerungswachstum trug ein Geburtenüberschuss (Geburtenziffer: 27,7 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 5,2 pro 1000 Einwohner) bei. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 3,6, die der Region Naher Osten und Nordafrika betrug 2,7. Die Lebenserwartung der Einwohner Iraks ab der Geburt lag 2020 bei 69,1 Jahren (Frauen: 71,2, Männer: 67). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 21 Jahren. Im Jahr 2020 waren 38,5 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, während der Anteil der über 64-Jährigen 3,4 Prozent der Bevölkerung betrug.
3,924.592132
Q796
3910
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Die Bevölkerung des Landes hat sich in den letzten 50 Jahren vervierfacht. Der Irak hat eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden Bevölkerungen der Welt. Bis Mitte des Jahrhunderts wird eine Einwohnerzahl von über 80 Millionen prognostiziert. Die Bevölkerungsdichte beträgt 93 Einwohnern/km². Im Jahr 2020 lebten 71 Prozent der Einwohner Iraks in Städten, wovon allein 6,2 Millionen Menschen auf die Agglomeration Bagdad entfielen. Die Hauptstadtregion hat eine Bevölkerungsdichte von 25.751 Einwohnern/km². Die Stadt und das gesamte Governorat Bagdad zusammen haben 7,1 Millionen Menschen. Weitere bevölkerungsreiche Governorate sind Niniveh (2,8 Millionen), Erbil, (2,1 Millionen), al-Suleymaniah (2,02 Millionen), Basra (1,9 Millionen) und Babil (1,8 Millionen). Weite Teile des Landes sind dagegen sehr dünn besiedelt, vor allem im trockenen Süden. Bevölkerungsstruktur Etwa 75–80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber. 15–20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer (um 2003 noch rund 1,4 Millionen), etwa 10.000 Armenier (vor den Kämpfen 35.000) oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt. Religion
3,924.592132
Q796
3911
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Etwa 97 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Christen, Jesiden und andere Religionen bilden mit ca. 3 % eine Minderheit. Vor etwa 100 Jahren machten sie noch rund 25 % aus. In den letzten Jahren sind fast 2 Millionen Christen geflohen. Die Christen zählen überwiegend zu den orientalisch-christlichen Gemeinschaften: Chaldäisch-katholische Kirche, Assyrische Kirche des Ostens, Alte Kirche des Ostens, Armenische Apostolische Kirche, Römisch-katholische Kirche, Syrisch-katholische Kirche, Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, Assyrisch-evangelische Kirche und andere. Bis 1948 lebten noch 150.000 Juden im Irak. Aufgrund von Flucht und Vertreibung in den 1940er Jahren infolge der Staatsgründung Israels verringerte sich die Zahl der im Irak lebenden Juden sehr stark und wird gegenwärtig auf unter 10 Personen geschätzt. Des Weiteren gibt es noch Jesiden, Schabak und einige Tausend Mandäer. Neuerdings gibt es im kurdischen Teil Iraks, besonders in Sulaimaniya, wachsende zoroastrische Gemeinden. Unter dem Regime von Saddam Hussein hatte die Toleranz gegenüber anderen Religionen einen verhältnismäßig hohen Stand; der Regierung des Diktators gehörten z. B. als Minister der christliche Chaldäer Tariq Aziz oder auch für kurze Zeit der kurdische General Mustafa Aziz Mahmoud an. Seit dem Beginn des Krieges im März 2003 hat allerdings schätzungsweise die Hälfte der irakischen Christen das Land verlassen.
3,924.592132
Q796
3912
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Flüchtlinge und Vertriebene Bereits zur Zeit Saddam Husseins verließen viele Iraker das Land, Ende 2002 waren bereits ca. 400.000 Flüchtlinge weltweit registriert. Aufgrund der instabilen Lage im Land haben seit 2003 weitere 1,8 Millionen Menschen den Irak verlassen. Auf dem Höhepunkt der Gewalt in den Jahren 2006 und 2007 überquerten täglich bis zu 3000 Menschen die Grenzen zu Syrien, dem Iran und Jordanien. Dazu gibt es über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge. Die Bundesregierung Deutschlands ist wegen eines Beschlusses der EU-Innenminister im November 2008 dazu verpflichtet, 2500 irakische Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien aufzunehmen. Bildung Der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung liegt mit insgesamt 79,7 % weit unter dem Weltdurchschnitt. 85,7 % aller Männer können lesen und schreiben, bei den Frauen sind es nur 73,7 %. Die Situation hat sich in den letzten 30 Jahren stark verschlechtert – Ende der 1980er-Jahre betrug der Anteil der Analphabeten nur 10 bis 12 %. Die Vorschule (im Irak meist staatlich, in den letzten Jahren wurden aber immer mehr kostenpflichtige Privatvorschulen gegründet) kann in der Altersklasse zwischen vier und fünf Jahren besucht werden. Seit 1970 gilt im Irak eine allgemeine neunjährige Schulpflicht, die Schul- und auch Hochschulausbildung werden vom Staat übernommen. Staatlich anerkannte Privatschulen wurden erst Anfang der 1990er Jahre zugelassen. Die Grundschulausbildung dauert sechs Jahre, wobei die ersten vier Klassen als Unterstufe und die Klassen 5 und 6 als Mittelstufe gelten. Ab der 5. Klasse wird Englisch unterrichtet. Dem Besuch der Grundschule folgt ein Besuch der Sekundarschule für weitere drei Jahre. Die Sekundarschule wird nach einer einheitlichen Abschlussprüfung und dem Erwerb der Mittleren Reife abgeschlossen. Zur Erlangung des Abiturs ist ein Besuch der Mittelschule notwendig; diese erneut dreijährige Schulform schließt mit einer zentralen Abitur-Prüfung in sechs Schulfächern (Arabisch, Englisch, Mathematik, Physik, Chemie und Biologie) ab und berechtigt zu einem Studium.
3,924.592132
Q796
3913
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Die drei größten Universitäten des Landes (Universität Bagdad, al-Mustansiriyya-Universität und die Technische Universität Bagdad, auch al-Hikma genannt) sind in der Hauptstadt Bagdad vertreten. Weitere Universitäten befinden sich in Basra (Universität Basra), Mossul (Universität Mossul), Erbil (Salahaddin-Universität, University of Kurdistan Hewlêr), Sulaimaniya (University of Sulaimani) und Dohuk (University of Duhok). Gesundheit Die Gesundheitsausgaben des Landes betrugen im Jahr 2019 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Im Jahr 2020 praktizierten in Irak 9,7 Ärztinnen und Ärzte je 10.000 Einwohner. Die Sterblichkeit bei unter 5-jährigen betrug 2021 24,5 pro 1000 Lebendgeburten. Geschichte Antike bis Neuzeit: Von Mesopotamien zum Osmanischen Reich Der Irak liegt auf dem Gebiet des alten Mesopotamien (DMG Bayn an-Nahrayn = arab. „zwischen den beiden Flüssen“); hier sind ab dem 4. Jahrtausend v. Chr. einige der frühesten Hochkulturen der Menschheit entstanden (Sumer, Akkad, Assyrien, Babylonien, Mittani, Medien), weshalb die Region heute von vielen als Wiege der Zivilisation gesehen wird. Nach der Schlacht von Kadesia 636 bemächtigten sich die arabischen Muslime des Gebietes. Der Irak wurde zu einem wichtigen kulturellen Zentrum des sich ausbreitenden Islams. 762 wurde Bagdad von al-Mansur als Hauptstadt des Abbasidenkalifats gegründet und entwickelte sich bald zur bedeutendsten Stadt der islamischen Welt. Die folgende Periode wird auch als Blütezeit des Islams bezeichnet, in der besonders Wissenschaft und Künste ein deutlich höheres Niveau entwickelten als etwa in Europa.
3,924.592132
Q796
3914
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
1401 wurde Bagdad durch Timur verwüstet, 1534 fiel das Land an das Osmanische Reich. Der Irak blieb lange ein unbedeutender Nebenschauplatz; seine geostrategische Position an den Schnittrouten zwischen Europa, Britisch-Indien, Zentralasien, dem Kaukasus und Südarabien machten ihn aber vom Ersten Weltkrieg an zum Gegenstand weltpolitischer Interessen. Während des Ersten Weltkrieges (am 6. November 1914, einen Tag nach der Kriegserklärung an das Osmanische Reich) marschierten britische Truppen und arabische Aufständische gemeinsam ein und besetzten 1917 Bagdad. Moderner Irak ab 1920 1920 löste Großbritannien aus dem ehemaligen Osmanischen Reich die Vilâyets Bagdad, Mossul und Basra heraus und verschmolz sie zum heutigen Irak. Der Irakische Aufstand von 1920 wurde blutig niedergeschlagen. Der Völkerbund übertrug 1922 Großbritannien rückwirkend das Mandat über den Irak. So wurde das Britische Mandat Mesopotamien eingerichtet. Am 23. August 1921 wurde Faisal, Sohn des Scherifen Hussein von Mekka, zum König proklamiert. Die Aufnahme des Königreichs Irak in den Völkerbund erfolgte am 3. Oktober 1932. Die wesentlichen Ölaktivitäten im Land waren in der 1929 aus der Turkish Petroleum Company hervorgegangenen Iraq Petroleum Company zusammengefasst, die nur geringe Konzessionsgebühren zahlte und vollständig ausländischen Unternehmen gehörte.
3,924.592132
Q796
3915
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Zweiter Weltkrieg und vereitelter Putsch Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brach die irakische Regierung unter Nuri as-Said die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und nahm in der Außenpolitik eine probritische Haltung ein, die in Armeekreisen und breiten Bevölkerungsschichten keinen Rückhalt hatte. Am 1. April 1941 putschte die Armee und brachte den antibritischen Politiker Raschid Ali al-Gailani an die Regierungsspitze, der die Neutralität des Irak verkündete und den Abzug aller britischen Soldaten forderte. Am 2. Mai 1941 begannen militärische Auseinandersetzungen zwischen britischen und irakischen Truppen, die einen Monat andauerten und mit der irakischen Niederlage endeten. Mit britischer Unterstützung übernahm im Oktober 1941 wieder Nuri as-Said die Regierung. Am 16. Januar 1943 erklärte der Irak den faschistischen Achsenmächten den Krieg. Gemeinsam mit syrischen, jordanischen, libanesischen und ägyptischen Truppen wandte sich das Königreich Irak 1948 im Krieg um Israels Unabhängigkeit, die am 14. Mai 1948 erklärt worden war, gegen die Gründung des Staates Israel und griffen es gemeinsam an. Sie wurden jedoch 1949 besiegt. Die vertraglich abgesicherte politische, ökonomische und militärische Einflussnahme Großbritanniens als ehemalige Mandatsmacht im Irak war auf Dauer bis hin zum Bagdadpakt Mitte der 1950er Jahre wiederhergestellt. Unabhängigkeit 1958
3,924.592132
Q796
3916
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Als Reaktion auf die Gründung der Vereinigten Arabischen Republik erklärten am 14. Februar 1958 die beiden haschemitischen Königreiche Irak und Jordanien ihre Vereinigung zu einer von Großbritannien unterstützten Arabischen Föderation. Unter General Abdel Karim Qasim schlossen sich die so genannten „Freien Offiziere“ zusammen, um die britische Kontrolle abzuschütteln. Sie stürzten und ermordeten am 14. Juli 1958 den pro-britischen Monarchen (Faisal II. 1935–1958). Am 15. Juli wurde die Föderation mit Jordanien aufgelöst und die Republik Irak proklamiert. Es strömten hunderttausende Iraker auf die Straßen, um ath-Thawra (die Revolution) zu feiern. Mit Ausrufung der Republik wurden neue politische Verhältnisse geschaffen. Die Monarchie wurde abgeschafft und der Irak trat aus dem mit der Türkei, Pakistan und dem Iran geschlossenen CENTO (Bagdad)-Pakt aus. Das aktive und passive Frauenwahlrecht war in der Verfassungsänderung vom 26. März 1958 vorgesehen, die vom Parlament des Königreichs Irak verabschiedet wurde. Das Regime, das damals an der Macht war, wurde jedoch im Sommer 1958 gestürzt, bevor Wahlen mit weiblicher Beteiligung hatten stattfinden können. Ein Frauenwahlrecht, das zu einer tatsächlichen Stimmabgabe führte, wurde erst im Februar 1980 eingeführt. Die letzten britischen Soldaten verließen das Land am 24. März 1959.
3,924.592132
Q796
3917
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Putsch der Baath-Partei 1963 Die kleine irakische Baath-Partei putschte mit Hilfe von Verschwörern in der irakischen Armee am 8. Februar 1963 gegen Qasim. Durch interne Flügelkämpfe geschwächt, wurde die Baath-Partei wenige Monate später mit dem Militärputsch vom 18. November 1963 durch den Präsidenten Abd as-Sallam Arif gestürzt. Unter seinem Bruder Abd ar-Rahman brach der Irak 1967 die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Nach einem zweiten Putsch am 17. Juli 1968 eroberte die Baath-Partei wieder die Macht, Ahmad Hasan al-Bakr wurde Staatspräsident und Vorsitzender des Revolutionären Kommandorates (RKR), Saddam Hussein Vizepräsident und stellvertretender Vorsitzender des RKR. Im Frühjahr 1969 brachen erneut Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den seit 1961 gegen die Zentralregierung kämpfenden Kurden aus. Zwar unterzeichneten Saddam Hussein und der Kurdenführer Mustafa Barzani im März 1970 einen Friedensvertrag, der den Kurden politische Autonomie gewährleistete. Die Kämpfe dauerten allerdings bis April 1975 an, als der Irak mit dem Nachbarland Iran das Abkommen von Algier über die Neuregelung der Grenze am Schatt al-Arab unterzeichnete. Der Iran beendete daraufhin seine Hilfe für die Kurden, was zu deren Kapitulation führte. Zeit seit dem zweiten Putsch der Baath-Partei; Machtübernahme Husseins 1979; Kriege 1980–1991 Als die Baath-Partei an der Macht war, folgten Massenhinrichtungen und willkürliche Verhaftungen, vor allem von kommunistischen und anderen linksgerichteten Intellektuellen. Besonders nachdem Saddam Hussein nach dem Rücktritt al-Bakrs am 16. Juli 1979 an die Macht gelangt war, kam es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, denen auch viele Baathisten zum Opfer fielen.
3,924.592132
Q796
3918
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Nach monatelangen Auseinandersetzungen mit dem Iran befahl Hussein der irakischen Armee am 22. September 1980, das Nachbarland mit insgesamt neun von zwölf Divisionen anzugreifen. Nach anfänglichen Erfolgen musste sich die irakische Armee ab 1982 immer weiter zurückziehen und schließlich ab 1984 den Krieg im eigenen Land führen. Dieser Erste Golfkrieg dauerte bis 1988 an und kostete schätzungsweise 250.000 Irakern das Leben. In diesem Krieg setzte der Staat auch mehrmals chemische Kampfstoffe sowohl gegen die Iraner als auch gegen die eigene Bevölkerung ein. Nach einem gescheiterten Attentat auf Saddam Hussein wurden am 17. Juli 1982 600 Einwohner der Kleinstadt Dudschail verhaftet und 148 von ihnen hingerichtet. 1988 startete das Regime die sogenannte Anfal-Operation, bei der nach Schätzungen bis zu 180.000 irakische Kurden ermordet wurden. Am 2. August 1990 marschierte die irakische Armee in Kuwait ein und besetzte das Land. Erst durch die Intervention internationaler Truppen unter der Führung der Vereinigten Staaten wurde das Land im Februar 1991 im Zweiten Golfkrieg befreit. Die kuwaitische Führung nutzte zur Mobilisierung ihrer Politik, Partner und Bevölkerung die Brutkastenlüge. Als Folge der Besetzung verhängten die Vereinten Nationen Sanktionen über das Land, die zu internationaler Isolierung und durch die Misswirtschaft mit den erlaubten Handelsgütern zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung führten.
3,924.592132
Q796
3919
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
1991 kam es zur Niederschlagung eines Schiitenaufstandes mit einem Genozid mit geschätzt 60.000–100.000 Toten (laut anderen Schätzungen bis zu 300.000 Toten). Schiiten hatten erst im Südirak und dann auch in anderen Regionen eine Revolte gegen das Regime gewagt, nachdem eine internationale Koalition unter Führung der USA die irakischen Truppen aus Kuwait vertrieben hatte. Die Regierungstruppen beendeten den Aufstand nicht nur mit militärischen Mitteln. Sie verbreiteten auch Terror, indem sie in den Schiiten-Städten willkürlich Zivilisten zusammentrieben und hinrichteten. Die Massengräber aus dieser Zeit wurden erst nach dem Sturz des Regimes in der Folge des dritten Golfkriegs 2003 entdeckt. Irakkrieg 2003, Absetzung Husseins und Besatzungszeit bis 2011 Am 20. März 2003 begann der Irakkrieg mit Luftangriffen auf die Hauptstadt Bagdad und führte bis Ende April zur Eroberung der Hauptstadt und zum Sturz des damaligen irakischen Diktators Saddam Hussein. Am 1. Mai erklärte US-Präsident Bush die größeren Kampfhandlungen für siegreich beendet und der Irak wurde mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates in Besatzungszonen aufgeteilt. Am 22. Mai 2003 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig dazu die Resolution 1483, in der die Rolle der UN und der Besatzungsmächte nach dem Krieg geregelt wurde. Nach Bildung eines Übergangsrates Ende 2003 wurde der bis dahin von der Koalitions-Übergangsverwaltung ausgeübte Verwaltungsauftrag am 28. Juni 2004 einer repräsentativen irakischen Übergangsregierung übertragen. Der Irak befindet sich politisch seitdem in einem Übergangszustand: Nach diesem Dritten Golfkrieg sind die früheren Machtstrukturen, insbesondere der Revolutionäre Kommandorat, nicht mehr vorhanden, aber die neuen Verhältnisse, damals noch zwischen der westlichen Besatzung, der Zivilverwaltung und dem Irakischen Regierungsrat, waren nicht endgültig etabliert.
3,924.592132
Q796
3920
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Am 15. Oktober 2006 rief al-Qaida im Irak einen islamischen Staat aus, der insgesamt sechs Provinzen umfassen sollte. Al-Qaida im Irak verfolgte anscheinend die Strategie, einen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu provozieren, um so zu verhindern, dass der Irak eine staatliche Ordnung findet. Todesschwadronen griffen gezielt Schiiten im Irak an. Als wichtigster Kopf von al-Qaida im Irak wurde seit 2003 der Jordanier Abu Musab az-Zarqawi angesehen (von US-amerikanischen Einheiten getötet am 7. Juni 2006). Die USA warfen dem Iran und Syrien vor, nichts gegen das Eindringen ausländischer Kämpfer zu tun. Von Sunniten und Schiiten gegeneinander geführte Terrorangriffe forderten bis 2008 je nach Studie zwischen 100.000 und 1.000.000 Tote. Die meisten Todesfälle ereigneten sich als Folge sektiererischer Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten. Am 30. Juni 2009 verließen die amerikanischen Kampftruppen die Städte und übergaben ihre Stützpunkte und andere Einrichtungen an die irakischen Streitkräfte. Im August 2010 verließen die letzten US-Kampftruppen das Land, seitdem befanden sich noch 50.000 Ausbilder und Militärberater im Land. Deren Abzug wurde dann am 18. Dezember 2011 abgeschlossen. Die zweiten Parlamentswahlen seit Inkrafttreten der neuen Verfassung fanden am 7. März 2010 statt. Stärkste Kraft wurde die von Iyad Allawi geführte Irakija mit 91 Sitzen vor der Rechtsstaat-Koalition des amtierenden Premierministers Nuri al-Maliki, die 89 Sitze gewann. Die Nationale Irakische Allianz wurde mit 70 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament. Aufstand und Krieg gegen den IS 2011–2017
3,924.592132
Q796
3921
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Auch nach dem Abzug der US-Truppen 2011 blieb die Lage im Land angespannt. Der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien wirkte sich auch im Irak aus. In den Jahren 2012 und 2013 kam es in den vornehmlich von der sunnitischen Minderheit bewohnten Provinzen zu Demonstrationen gegen die Regierung al-Maliki. Gleichzeitig nahmen Angriffe auf Zivilisten zu. Ab 2014 wurden Teile des Iraks, wie die Stadt Mossul, von der Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und der Levante besetzt. Seit der „Islamische Staat“ (IS) im August 2014 seinen Vormarsch im Nordwesten des Landes begann, wurden 3,2 Millionen Menschen vertrieben. Viele sind bei Gastfamilien untergekommen, andere leben in Camps oder in Kellern und Hinterhöfen. In dieser Zeit wurde auch das Massaker von Tikrit von dieser Terrorzelle ausgeführt. Im darauffolgenden Krieg gegen den IS gelang es den irakischen Streitkräften und den Volksmobilmachungskräften (alHaschd asch-Schaʿbī), unterstützt von einer internationalen Allianz den sog. Islamischen Staat zurückzudrängen. Die Schlacht um Mossul endete im Juni 2017 mit der Rückeroberung der Stadt. Im Dezember 2017 verkündete der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi den Sieg über den IS. 2014 gab es im Irak umfangreiche Missionen des Internationalen Komitee vom Blauen Schild (Association of the National Committees of the Blue Shield, ANCBS) mit Sitz in Den Haag zum Schutz der vom Krieg und Diebstahl bedrohten Kulturgüter (Museen, Archive, Ausgrabungsstätten, Denkmäler etc.). Dabei wurden auch Arbeiten zu „No-Strike-Listen“ erstellt, um Kulturgüter bei Luftschlägen zu schützen.
3,924.592132
Q796
3922
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Aktuelle Lage seit 2018 Im August 2019 griffen israelische Streitkräfte offenbar mehrere Ziele im Irak an, die den schiitischen Milizen zugerechnet werden. US-Offizielle bestätigten, dass Israel für zumindest einen Drohnenangriff auf irakischem Gebiet verantwortlich war. Die USA wurden daraufhin von einer Fraktion im irakischen Parlament für Israels Aktionen mit verantwortlich gemacht und die im Land verbliebenen etwa 5000 US-Soldaten, die 2014 wie die schiitischen Milizen zum Kampf gegen den IS in den Irak gekommen waren, von dieser Fraktion zum sofortigen Abzug aufgefordert. Im Januar 2020 stimmte das irakische Parlament für den vollständigen Abzug aller Truppen der USA aus dem eigenen Land. Hintergrund war die gezielte Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani in Bagdad. Am 7. März 2023 erklärte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Rahmen eines unangekündigten Besuchs im Irak, die US-Truppen seien darauf vorbereitet, auf Einladung der irakischen Regierung im Land zu bleiben. Am 31. Dezember 2021 endete der US-Kampfeinsatz. Militärberater verblieben allerdings im Irak. Bei der Parlamentswahl im Irak im Oktober 2021 gewann die Bewegung des radikalen irakischen Klerikers und Schiitenführers Muqtada as-Sadr. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 41 Prozent. Al-Sadr hatte bei der Wahl selbst nicht kandidiert. Im Jahr 2022 beschloss das irakische Parlament auf Betreiben Al-Sadrs ein Gesetz, das Menschen im Irak (auch Ausländern) verbietet, Kontakte zu Israelis zu halten. Bei Zuwiderhandlungen können in härtesten Fällen lebenslange Haftstrafen oder Todesstrafen verhängt werden.
3,924.592132
Q796
3923
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Politik Die irakische Politik wird seit der Staatsgründung 1921 und der Aufnahme in den Völkerbund (1932) von zwei Hauptfaktoren geprägt: dem Reichtum an Erdöl und den daraus folgenden Interessen des Westens und Russlands, den ethnisch-religiösen Unterschieden der drei Landesteile, die den ehemaligen osmanischen Provinzen Mossul, Bagdad und Basra entsprechen: Kurden und Turkmenen im Norden, sunnitische Araber in der Landesmitte und Schiiten im Süden. Einigend wirkte unter anderem der langjährige Widerstand gegen den britischen Einfluss, der bis zum Sturz von König Faisal II. (1958) und der Verstaatlichung der Ölunternehmen bestand. Die Demokratie wurde jedoch durch heftige Machtkämpfe unterminiert, die bis heute unter Panarabisten, Schiiten und Kurden nachwirken und in denen sich 1968 die nationalistische Baath-Partei durchsetzte. Ihre Macht ging 1979 in die Alleinherrschaft von Saddam Hussein über, die durch zwei „Golfkriege“ gegen den Iran (1980–1988) und gegen Kuwait und dessen Verbündete (1990/91) noch gefestigt wurde. Staatlichkeit Seit der Gründung 1920 kam keine gemeinsame nationale Identifikation der drei Bevölkerungsgruppen, Schiiten, Sunniten und Kurden, zustande. Diese mangelnde nationale Einigkeit ließ Platz für radikalislamische Machtbestrebungen. Vor dem Sturz Saddams regierten die Sunniten, nach Abzug der Amerikaner die Schiiten, die das vormals herrschende Regierungsgefüge unter „fadenscheinigen“ Argumenten „sprengten“ (Baath-Partei). Die ethno-religiösen Auseinandersetzungen verstärkten sich weiter und stellen akut eine Bedrohung für die irakische Einheit dar. Verfassung
3,924.592132
Q796
3924
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Am 15. Oktober 2005 wurde die neue Verfassung zur Abstimmung freigegeben. Wenn in drei Provinzen zwei Drittel der Wähler mit Nein gestimmt hätten, wäre die Verfassung nicht angenommen worden. Laut Ergebnis lag die Wahlbeteiligung bei über 60 %. Die Verfassung wurde mit 78,59 % der Stimmen angenommen. Nur in den Provinzen al-Anbar und Salah ad-Din stimmten mehr als zwei Drittel der Wähler dagegen, in einer dritten Provinz (Ninawa) soll die Zweidrittelmehrheit an Gegenstimmen nur knapp verfehlt worden sein. Übergangsverfassung (2004–2005) In der Zwischenzeit geht die Diskussion um eine neue Verfassung weiter. Als erster Schritt wurde am 8. März 2004 von den 25 Mitgliedern des Regierungsrates eine Übergangsverfassung feierlich unterzeichnet. Nach anfänglichen Einwänden und einer Verschiebung des Termins wurde dann aber das Werk ohne Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf verabschiedet. Die Übergangsverfassung regelt die Geschicke des Staates seit der Machtübergabe am 28. Juni 2004. Der Irak ist laut Verfassungstext eine multi-ethnische und multi-religiöse parlamentarische Republik, die sich zur Demokratie, zum Pluralismus und zum Föderalismus bekennt. Im Text verankert sind die Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sowie die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten. Es besteht Religionsfreiheit, wobei der Islam als Staatsreligion festgeschrieben ist. Amtssprachen sind Arabisch und Kurdisch. In diesen Sprachen besteht ein Recht auf muttersprachlichen Unterricht. Syrisch-Aramäisch und Türkisch werden in der Verwaltung ebenfalls als Amtssprachen betrachtet.
3,924.592132
Q796
3925
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Politische Macht geht im Rahmen von freien, gleichen und unmittelbaren Wahlen ausschließlich vom Volk aus. Der vom Volk alle vier Jahre gewählte Repräsentantenrat ist das höchste gesetzgebende Organ des Staates. Der vom Repräsentantenrat gewählte Präsident und Ministerpräsident nehmen gemeinsam die höchste Exekutivgewalt wahr. Die Gesetzgebung basiert auf den Regeln des Islams (Scharia) aber auch auf den Prinzipien der Demokratie bzw. der Verfassung. Alle Iraker sind vor dem Gesetz gleich. Die Judikative ist von den anderen Gewalten unabhängig und das höchste Rechtsorgan ist der Bundesgerichtshof, der eine noch nicht bestimmte Anzahl islamischer Rechtsgelehrte umfasst (Schariarichter). Er überwacht u. a. die Verfassungskonformität der Legislative. Die zentralstaatlichen Kompetenzen sind die Außen-, Verteidigungs-, Handels-, Einwanderungspolitik, die Währung, das Zoll- und das Messwesen. Die Regionen und Provinzen genießen eine weitreichende Autonomie. So haben die Provinzen bei Angelegenheiten, über die mit dem Bund gemeinsam entschieden wird, das letzte Wort. Provinzen sind berechtigt, gemeinsame Verwaltungsbezirke mit weitreichenden Kompetenzen zu bilden, sofern dies im Rahmen eines Referendums durch das Volk bestätigt wurde. Auch sind die Provinzen berechtigt, eigene Sicherheitskräfte zu unterhalten. Die Gleichberechtigung der Frau ist explizit in der Verfassung garantiert. So müssen mindestens 25 % der Abgeordneten des Repräsentantenrats weiblichen Geschlechts sein. Der umstrittene Artikel 39 sieht jedoch vor, dass irakische Bürger sich der Zivilgerichtsbarkeit ihrer eigenen Religionsgemeinschaft unterwerfen können, was gegebenenfalls zu einer entsprechenden Benachteiligung bei Erbschafts- und Scheidungsangelegenheiten führen kann. Bodenschätze, wie beispielsweise Erdgas und Erdöl, sind als gemeinschaftliches Eigentum aller Iraker festgeschrieben. Ihre gemeinschaftliche Nutzung wird von der Zentralregierung und den Provinzen gemeinsam bestimmt.
3,924.592132
Q796
3926
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Am 30. Januar 2005 fanden die Wahlen für ein Übergangsparlament (Nationalversammlung) statt, in dem die Vereinigte Irakische Allianz (United Iraqi Alliance [UIA]), die von Großajatollah Ali as-Sistani unterstützt wurde, mit 48,2 % der abgegebenen Stimmen fast die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erreichte. Eine von diesem Übergangsparlament ernannte 55-köpfige Kommission musste bis 15. August 2005 die endgültige Verfassung erarbeiten, über die per Volksentscheid abgestimmt wurde. 28 der Mitglieder der Kommission gehören der UIA an, die weiteren Sitze teilen größtenteils die Kurden und das Parteienbündnis des früheren Ministerpräsidenten Iyad Allawi, Irakische Liste, unter sich auf. Die Kommission wird von dem moderaten schiitischen Kleriker Hummam Hammudi geleitet, seine Stellvertreter sind der Sunnit Adnan al-Dschanabi und der Kurde Fu’ad Massum. Wegen der Unterrepräsentierung der Sunniten übte US-Außenministerin Condoleezza Rice Kritik an der Zusammensetzung der Kommission, worauf der irakische Ministerpräsident Ibrahim al-Dschafari versprach, die Sunniten mehr in den politischen Prozess mit einzubeziehen. Daraufhin wurde den Sunniten eine stärkere Beteiligung an der Ausarbeitung der Verfassung angeboten. Staatsoberhaupt Die Ernennung einer Regierung ist laut Verfassung nur im Einvernehmen zwischen dem kurdischen, dem schiitischen und dem sunnitischen Vertreter im Präsidialrat möglich. Laut der aktuellen Verfassung von 2005 ist das Staatsoberhaupt der Präsident der Republik Irak. Am 24. Juli 2014 wurde der Kurde Fuad Masum (PUK) vom irakischen Parlament mit 211 zu 17 Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt. Seine Stellvertreter sind der frühere Ministerpräsident Nuri al-Maliki, Iyad Allawi und Osama al-Nudschaifi.
3,924.592132
Q796
3927
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Rund fünf Monate nach der Wahl 2018 im Irak ist der kurdische Politiker Barham Salih nach mehreren Anläufen zum neuen Staatschef des Landes gewählt worden. Die Abgeordneten im Parlament in Bagdad stimmten mit 219 von 329 Stimmen für ihn. Das Präsidentenamt im Irak steht traditionell einem Kurden zu. Anders als früher konnten sich die beiden großen kurdischen Kräfte, die Kurdische Demokratische Partei (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK), zunächst nicht auf einen Kandidaten einigen. Dahinter steckt ein erbitterter Kampf um die Machtverteilung im Land. Regierung Nachdem Haider al-Abadi am 11. August 2014 von Staatspräsident Fuad Masum mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden war, trat der bisherige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 14. August zurück. Es dauerte noch bis zum 8. September bis al-Abadi und sein Kabinett die Zustimmung der Mehrheit des irakischen Parlaments erlangte und es vereidigt wurde. Das anlässlich von Protesten gegen Missstände und Korruption in mehreren irakischen Provinzen im August 2015 angekündigte Reformprogramm von Premierminister Al-Abadi kommt nur schleppend voran. Maßnahmen wie die Abschaffung der Posten der stellvertretenden Staatspräsidenten oder die Neubesetzung von Ministerposten wurden durch das Oberste Bundesgericht bzw. das Parlament rückgängig gemacht bzw. verhindert. Der Finanz- und der Verteidigungsminister verloren durch Misstrauensvoten des Parlaments ihre Posten. Kernressorts der Regierung wie z. B. Inneres, Finanzen und Verteidigung sind momentan unbesetzt, andere Ressorts wie z. B. Finanzen, Handel und Industrie bleiben weiter vakant. Wahlen Laut Übergangsverfassung mussten auf jeder Wählerliste ein Drittel Frauen stehen. Ebenfalls stehen rund ein Viertel aller Sitze der neu gewählten Nationalversammlung Frauen zu.
3,924.592132
Q796
3928
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Bei den Kommunalwahlen 2009 wurden in 14 der 18 Provinzen die Abgeordneten der Kommunalparlamente gewählt. In der Provinz Kirkuk wurde der Urnengang abgesagt, da die politischen Fraktionen sich nicht auf die Rahmenbedingungen einigen konnten. In den restlichen drei Provinzen, die autonom regierten kurdischen Nordprovinzen, wird die Wahl zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt. 15 Millionen von insgesamt 28 Millionen Wahlberechtigten haben sich zuvor für die Wahl registrieren lassen, um ihre Stimme abgeben zu können. Die Wahllokale wurden von tausenden irakischen Polizisten und Soldaten abgesichert, weitgehend ohne Beteiligung der US-Armee. Nach Berichten von Reuters verliefen die Wahlen im Gegensatz zu 2005 weitgehend friedlich. Der schiitische Geistliche Muqtada al-Sadr gewann die Parlamentswahl 2018. Seine Liste Sairun („Wir marschieren“) werde 54 der 329 Sitze im Parlament erhalten, teilte die Wahlkommission mit. Auf Platz zwei folgt ein Bündnis des Politikers Hadi al-Amiri, das den schiitischen Milizen nahesteht und enge Beziehungen zum benachbarten Iran hat. Lediglich auf Platz drei kam der amtierende schiitische Regierungschef Haidar al-Abadi mit seiner Liste. Dieses Ergebnis war bereits Prognosen zufolge nach der Wahl vom 12. Mai erwartet worden. Politische Indizes Menschenrechte Im Irak wird immer noch die Todesstrafe vollstreckt. Amnesty International dokumentierte zahlreiche Fälle von Folter und Misshandlungen in Gefängnissen. Darunter zählen unter anderem: das Aufhängen an Armen oder Beinen über längere Zeiträume, das Schlagen mit Kabeln und Schläuchen, Elektroschocks, das Brechen von Armen und Beinen, beinahe Erstickung durch Plastiktüten oder Vergewaltigung. Nonkonformisten und Homosexuelle werden eingeschüchtert. Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan gingen gegen Personen vor, welche die Korruption der Regierung kritisierten. Auch dort wurden Fälle von Folter und Misshandlungen dokumentiert.
3,924.592132
Q796
3929
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Frauenhandel Im Irak „verheiraten“ schiitische Geistliche junge Mädchen und Frauen für „Vergnügungsehen auf Zeit“ (Mutʿa-Ehe), die nur eine Stunde dauern können – für sexuelle Zwecke. Unter dem Vorwand, die Scharia zu befolgen, werden die Mädchen gegen eine Gebühr getraut. Außenpolitik Die Beziehungen zwischen Irak und den USA unterliegen seit dem Abzug der letzten US-Truppen am 18. Dezember 2011 einem deutlichen Wandel. Bereits mit dem Abzug der letzten Kampfbrigade im August 2010 war die „Operation Iraqi Freedom“ beendet. Nichtsdestoweniger bleiben die USA nach dem Iran der wichtigste internationale Partner für Irak. Die USA sind insbesondere seit dem irakischen Regierungswechsel um die Unterstützung einer demokratisch legitimierten und inklusiven Regierung bemüht. Ferner unterstützen die USA im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition die irakische Regierung im Kampf gegen den IS. Die Tötung von Qasem Soleimani auf irakischem Staatsgebiet führte 2020 zu einer Belastung der Beziehungen. Das Verhältnis zu Syrien ist derzeit durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Nachbarstaat schwer beeinträchtigt. Noch immer sind Teile der an der Grenze zu Syrien gelegenen irakischen Region unter der Kontrolle von IS. Darüber hinaus war der Irak von den Flüchtlingsströmen aus Syrien stark betroffen. Unter seinen Nachbarstaaten unterhält Irak volle diplomatische Beziehungen derzeit u. a. zur Türkei, zu Jordanien, Iran, Syrien, Kuwait und Saudi-Arabien. Am 13. Februar 2007 wurde die irakische Botschaft in Riad wiedereröffnet; Saudi-Arabien hat am 21. Februar 2012 die diplomatischen Beziehungen zu Irak wieder aufgenommen und Ende 2015 eine Botschaft in Bagdad sowie vor kurzem ein Generalkonsulat in Erbil eröffnet. Ende Februar 2017 reiste der saudische Außenminister, Adel al-Dschubeir, als erster saudischer Außenminister seit 1990 nach Bagdad. Saudi-Arabien hat ein Interesse an einem stabilen Irak unter einer inklusiven, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in politische Entscheidungen und Institutionen einschließenden Regierung.
3,924.592132
Q796
3930
297
https://de.wikipedia.org/wiki/Irak
Irak
Die über Jahrzehnte belasteten Beziehungen zu Kuwait haben sich verbessert. Bei Besuchen des kuwaitischen Premierministers in Bagdad und des irakischen Außenministers in Kuwait vereinbarten beide Seiten, die noch offenen Fragen hinsichtlich der Kompensationen an Kuwait mit Hilfe der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Irak (UNAMI) lösen zu wollen. Dabei geht es in erster Linie um Wiedergutmachung, die Irak nach seinem Überfall auf Kuwait vom 2. August 1990 leisten muss. Es existiert ein irakisch-kuwaitischer Ministerrat, von dem unter anderem ein Tourismus- und Investitionsabkommen vereinbart und eine Einigung zur Navigation im Khor Abdullah, dem Grenzgebiet im Persischen Golf erreicht wurde. Das Verhältnis Iraks zu anderen arabischen Staaten verbessert sich ebenfalls, nachdem zahlreiche arabische Diplomaten nach 2003 Opfer von Gewalt in Bagdad geworden waren. So entsandte Ägypten im Juni 2009 wieder einen Botschafter nach Bagdad und im November 2010 einen Generalkonsul nach Erbil. Im September 2015 gab Katar die erste Entsendung eines Botschafters nach Bagdad seit 1990 bekannt. Die Beziehungen zur Türkei haben sich zuletzt wieder verschlechtert. Im Vordergrund stehen derzeit Spannungen um eine türkische Militärpräsenz zu Ausbildungszwecken im Nordirak gegen den Willen der irakischen Regierung. Differenzen bestehen darüber hinaus im Hinblick auf den Konflikt in Syrien, die sich mit dem Umgang der Kurden ergebenden Probleme und den Konflikt um das Wasser aus dem Tigris. Im Dezember 2013 wurde die türkisch-kurdische Ölpipeline eröffnet. Der Aufkauf von Öl von der kurdischen Regionalregierung durch die Türkei, unter Übergehung der Bagdader Zentralregierung, hat bestehende Spannungen vertieft. Ergänzend zu den benannten Aktivitäten ist die Türkei seit Sommer 2015 punktuell und ohne eine dauerhafte militärische Präsenz zu entfalten im Nordirak im Rahmen ihrer Kampfhandlungen gegen die PKK militärisch aktiv.
3,924.592132
Q796